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Immer wieder Voodoo

■ HipHop, Cyborgs, Ninjas, Pimps: In Darius James' „Negrophobia“ wird die Geschichte schwarzer Selbstfindung als Apokalypse der weißen Mittelklasse erzählt

Das würde kein schöner Film werden. Auf der Tonspur „Todesquieken, reißendes Fleisch und knackende Knochen“, und an einer anderen Stelle heißt eine Regieanweisung „Schwenk auf das Gewirr der zahllosen Reflexionen von Kerzen, Flammen und Fleisch im Spiegel und Zoom zu einem Close-up von Bubbles' Fotze“. Und in diesem Stil geht es weiter.

Darius James hat ein Drehbuch geschrieben für einen Film, den zu drehen sich niemand wagen wird. Seiner eigentlichen Funktion enthoben, bietet ihm das Drehbuch die Möglichkeit, unterschiedliche Gattungen wie Comic, Sci-fi, Fantasy, Porno, Exploitation ohne Hemmungen zu verquirlen und diesen Mix in eine Form zu bringen, die eine große Zugänglichkeit für KonsumentInnen der erwähnten Richtungen garantiert. Nichts Bildungsbürgerliches wie etwa ein Roman oder dergleichen, sondern ein Bild nach dem anderen, eine Sprechblase nach der anderen.

Es gibt in diesem Buch keine „echten“ Menschen oder etwas, das man einen Charakter nennen könnte, sondern nur Figuren wie zum Beispiel die beiden „übellaunigen jungen Neger“, die sich vornehmen, die „große weiße Schlampe zu poppen“. Das Ganze spielt irgendwo und irgendwann in urban America, durch das sich die „Protagonistin“ Bubbles Brazil, eine jugendkulturell hochgradig kodifizierte weiße Teenagerin, bewegt. Sie wird von ihrer „Magd“ wegen rassistischer Sprüche mit einem Voodoo-Fluch belegt und rast fortan unter ständigem Einsatz jeweils vorhandener Drogen durch eine künstliche Zivilisation, in der Art von Thrillern wie „Die Nacht des Jägers“ und „Night of the Living Dead“. Da gibt es kitschige Genreszenen mit einem Satyr, Messerstechereien mit rollerskatenden Ninjas und dergleichen. Beschrieben natürlich auf die drastischste Weise und, was die sexuellen Details angeht, so explizit wie nur möglich. Wer bislang den anatomischen Teil der Sexualkunde eher langweilig fand, bekommt hier noch mal das ganze Geschlechtsleben als bunte Mischung nachgeliefert.

Was als großer, sich ständig überschlagender Tabubruch überraschend schnell langweilig wird, erhält an den Stellen des Buches seine Brisanz und Schlüssigkeit zurück, an denen sich der angehäufte Schmutz als die Grundlage des Zusammenlebens von Weißen und Schwarzen erweist. Das ist insbesondere von der Begegnung an der Fall, bei der Bubbles inmitten eines beliebig bleibenden „inner city riots“ von einem unvermittelt auftauchenden Cyborg verspeist wird und in ihm, in einer „Imago-Kammer“, von einem „sprechenden Dread“ die Geschichte der Darstellung der Schwarzen und die Benutzung dieser Darstellungen zur Unterdrückung der Schwarzen vorgesetzt bekommt. Bubbles wird auf eine Art Zeitreise geschickt, auf der sie ihrer eigenen Vergangenheit, das heißt der Tradition, in der sie als Weiße lebt, begegnet. Da endlich sind wir beim eigentlichen Thema angelangt: Die Negrophobie beruht auf den Bildern, die sich die Weißen von den Schwarzen gemacht haben, die Minstrel-Shows, „Amos 'n' Andy“, „Zehn kleine Negerlein“, der Sarotti-Mohr – um sich dann das Gesicht schwarz anmalen und ungehemmt die Sau rauslassen zu können.

Die so betriebene Bilderproduktion bewirkt, daß der Schwarze zum Phantasieprodukt des Weißen wird und dadurch seinem eigenen künstlichen Abbild gegenübersteht. Als Schwarzer in einer von Weißen dominierten Kultur zu leben, heißt nicht nur, dem alltäglichen Rassimus ausgesetzt zu sein, sondern auch mit dem Problem zu leben, daß man mit einem fremdbestimmten Selbstbild konfrontiert ist. Das im HipHop und im „black cinema“ große Thema der „Repräsentation“ bestimmt also auch das Buch von Darius James: sich das eigene Bild machen.

James' fiktives Drehbuch zeigt als solches gleichzeitig eine Möglichkeit dieser Bemühungen um Identität. Der Weg zum eigenen Bild ist gepflastert mit Stereotypen, die James erst einmal alle zum Leben erweckt, um sie in ihrer Lächerlichkeit zu zeigen, und um sie schließlich zu zerstören. Daß in seinem Buch kein positives Bild auftaucht, auch kein positives Bild eines Schwarzen, und daß sogar Heroen des schwarzen Widerstands und Bewußtseins wie Malcolm X oder Louis Farrakhan als Persiflage auftauchen, hat ihm einige Kritik von schwarzen LeserInnen eingebracht, als das Buch in den USA veröffentlicht wurde. Diese Kritik übersieht, daß das Buch frei ist von aller Psychologie und Pädagogik. Es ist zu nichts zu gebrauchen. „Negrophobia“ ist sogar ein ziemlich widerliches Buch. Es ist so widerlich wie der Rassismus. Deswegen sollte man es lesen – ohne aber zu hoffen, daß es einem hilft. Der Gedanke daran, daß auf diesem Wege die Befreiung vom Rassismus möglich sei, kommt einem nach der Lektüre ziemlich lächerlich vor. Martin Pesch

Darius James: „Negrophobia“. Übersetzt von Gunter Blank. Maas Verlag., 184 S., 24 DM

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