Wer will dagegen etwas sagen?

Das JazzFest Berlin suchte nach der Geschichte und dem Stand der Great Black Music  ■ Von Christian Broecking

„The revolution will be televised“, versicherte Don Byrons Sprecher Sadiq mit Bezug auf die riots von L.A., auch wenn der Name Rodney King längst aus den Medien verschwunden ist. „Der amerikanische Faschismus ist eine Bedrohung für die gesamte Welt“, kommentierte Amiri Baraka den Ausgang der amerikanischen Kongreßwahlen, „Clinton hat den Faschismus ermöglicht.“ Solche Stimmen waren am vergangenen Wochenende nicht bei einem Black-Politics-Kongreß in Watts, Chicago oder New York zu vernehmen, sondern beim JazzFest Berlin, das in diesem Jahr die Great Black Music zum Thema hatte. Daß Great Black Music jedoch noch viel mehr meint als radikale poetry und von politisch engagierten Musikern gespielten Jazz, merkte man an den fünf JazzFest- Tagen im Haus der Kulturen der Welt überall.

Der Tag, an dem Cab Calloway starb

Es war ein Festival der großen Produktionen. Das dreieinhalbstündige „The Spirits of Africa“-Nonstop-Programm des Pianisten und Komponisten Randy Weston brachte zwar seine Bebop-orientierte Combo mit The Gnawas of Marocco sowie mittelmäßigen Texas-Blues der Johnny Clyde Copeland-Band zusammen, allerdings ohne die Geduld des Publikums zu berücksichtigen. Denn für das, was da geboten wurde, hätte eine halbe Stunde gereicht. Anders ging es beim vierstündigen Großprojekt „The K.C. Connection“ zu. Es war der Tag, an dem Cab Calloway starb, und der Tag, den die Bürgermeister von Kansas City zum Berlin Jazz Festival Day ernannten – der 19. November. Der 85jährige Jay McShann sang und spielte den „crazy way of lovin“-Blues der Blue Devils, der Nutten, Zuhälter und Spieler und der good times in harten Zeiten. Es war der Tag der grauen Bärte und des Swing. Als ich Jay McShann fragte, wie er die Zeit in Erinnerung hat, als er mit Charlie Parker spielte, fummelte er an seinem Hörgerät, lächelte und sagte: „Well, ich habe nicht mit Charlie gespielt, er hat mit mir gespielt. Ich nahm ihn Ende der dreißiger Jahre in meine Band, weil ich fand, daß er nicht schlecht spielen konnte. Wir spielten zu der Zeit sehr modern. Black Music – das heißt für mich, daß Modern Jazz und Blues zusammengehören, genauso, wie es in diesem Programm hier auch präsentiert wird“, lobte der Alterspräsident McShann das diesjährige Festival. Und wer will dagegen etwas sagen?

Es war auch ein Festival des Abschieds. George Gruntz legte mit diesem Festival seinen Posten als künstlerischer Leiter nach 23 Jahren nieder. Zu seinen Ehren gehörte ein karges Abschiedsmahl mit Brötchen und Wein am Abend vor der Eröffnung ebenso wie ein überzeugendes Konzert seiner Concert Jazz Band am Tag darauf. Zu diesem Ereignis wurde auch der Saxophonist Joe Henderson für zehn Special-Guest-Minuten extra eingeflogen – ein eigenes Konzert des späten Jazz-Stars hätte jedoch – wie verlautete – die JazzFest-Kasse gesprengt. „Race matters“, sagte der Chefredakteur des amerikanischen Jazz-Magazins Down Beat, John Ephland, im Gespräch mit der taz. Wie die meisten der anwesenden Kritiker und Musiker lobte auch er die Berliner Programmgestaltung gerade auch im Hinblick auf amerikanische Verhältnisse. Mit einem Achselzucken beantwortete Ephland die Frage, warum etwa das Black History Music-Projekt der Baraka- Familie nicht auch in Amerika aufgeführt wird. Barakas Kommentar dazu: „If Elvis Presley is King / Who is James Brown – GOD?“

Beim JazzFest '94 ist es gelungen, ein kompliziertes Thema zu wagen und es in seiner Vielschichtigkeit repräsentativ darzustellen, so die einhellige Meinung. „Race matters – but gender matters too“, fügt Ephland noch schnell auf die Frage hinzu, welche Themen am Ende des ersten Jazz-Jahrhunderts stehen. Es hat sich bereits herumgesprochen: Es ist keine Zeit für Standards. Das beanspruchten auch nicht die Free-Music-Vertreter bei diesem Festival, unter denen insbesondere das Tony Oxley Celebration Orchestra seinem Namen gerecht wurde. Hier war es das Duett von Phil Mintons Stimme und Bill Dixons Trompete, das sich aus den festivaltypischen Längen hörbar heraushob.

Nichts weiter als ein Stück Blech

Es war ein Festival der Musiker. Der 69jährige Bill Dixon war vor dreißig Jahren der Initiator der New Yorker october revolution im Jazz. Dixon dazu: „Wir nennen es nicht Jazz, sondern Black Music.“ Backstage hörte er zum ersten Mal den Trompeter aus der Knitting Factory World, Dave Douglas, als der am abschließenden Sonntag mit seinem Quintett auftrat. „Der Junge kann spielen. Er spielt die Dinge, die ich schon eine Million mal gehört habe. Und er spielt Dinge, die interessanter sind. Und es gibt Dinge, die er noch nicht spielt. Eine Trompete ist ein Stück Metall, das man benutzen muß.“

Im „wordjazz“-Schwerpunkt beim JazzFest gab die derzeit in Berlin lebende Poetress Sharifa Khaliq ihr überzeugendes Debüt auf einer internationalen Festivalbühne. Der Amerikanerin gelang gerade das intensive Interplay zwischen Sprache und Musik, das bei anderen Künstlern des Genres so gänzlich danebenging. Am späten Sonntagabend gab dann das Heavy Metal Quartet des Posaunisten Ray Anderson den blechernen Abgesang des diesjährigen JazzFests – das für Gruntz nach Jahren der Kritikerschelte zu einem gelungenen Abgang geriet und vom Publikum mit besetzten Stuhlreihen dotiert wurde: Bei elf von zwölf Konzerten signalisierte ein Zettelchen im Kassenbereich das zurückgewonnene Profil des Berliner JazzFestes – „Ausverkauft!“