■ Die nach oben offene Biermann-Skala für Heldentum
: Stefan Arschloch?

Wolf Biermann hilft jenen, die sich bisher erfolglos das Hirn über die Frage zermarterten, warum Stefan Heym sich als Kandidat der PDS zur Verfügung gestellt hat, gehörig auf die Sprünge: Es ist, gab Biermann gegenüber dpa zu verstehen, der „Fluch der Eitelkeit“, der Heym ereilte und ihn „schamlos auf den Schoß des Spitzels Gysi (trieb), der ein Verbrecher ist in meinen Augen, hundertprozentig, und nicht mit lumpigen 99,9 Prozent“. Bei der heutigen Beweislage bleibt es natürlich jedem anheimgestellt, Gregor Gysi für einen „Verbrecher“ zu halten – oder für einen zwar nicht heldenhaften, aber doch hier und da hilfreichen Anwalt seiner Mandanten. Wer ihn in aller Öffentlichkeit beschuldigt, sollte irgendwelche neuen Indizien gegen ihn vorlegen oder wenigstens eine neue Perspektive eröffnen können. Beides hat Wolf Biermann nicht zu bieten.

Aber immerhin die Erkenntnis von Stefan Heyms „Eitelkeit“! Ein eitler Schriftsteller, na, wer hätte gedacht, das es so etwas gibt! Wie ist Wolf Biermann ihm bloß auf die Schliche gekommen? Ganz allein durch Beobachtung am Objekt? Ein wenig Selbstbeobachtung hätte ihn lehren können, daß Eitelkeit kein schlechter Antriebsstoff sein muß. Denn selber ist er der Eitelsten einer, und die, die ihn lieben, lieben ihn eben drum – oder nichtsdestotrotz.

Wo einem Schriftsteller sein Narzißmus zum Vorwurf gemacht wird, fehlen offenbar schmerzlich andere Argumente. Wolf Biermann hält Heyms Kandidatur in der PDS offenbar für eine intellektuell-moralische Bankrotterklärung, und natürlich kann man das so sehen. Aber dann sollte man es auch so sagen, statt eine notwendige politische Debatte zu personalisieren und so am Ende zu entpolitisieren.

Die neuerlich von Biermann über Stefan Heyms Verhalten Robert Havemann gegenüber vorgebrachten Behauptungen ergeben, sollten sie sich bestätigen, ein kümmerliches Bild: 1965 soll Heym den bedrängten Havemann angerufen haben, um ihm zu sagen, es sei besser, wenn man sich in Zukunft nicht mehr sehe. 1978 soll Heym einen Schrecken bekommen haben, als Havemann bei ihm auftauchte, und gesagt haben, nun sei eine damals geplante Auslandsreise gefährdet. Sollte Heym sich so verhalten haben, dann träfe ihn das Biermann-Wort vom „aufsässigen Feigling“. Stefan Heym sollte die Lage klären, statt sich schmollend darauf zurückzuziehen, daß da eine „Kampagne“ gegen ihn inszeniert werde.

Es ist nicht einmal so sehr Selbstgerechtigkeit, derer sich Wolf Biermann schuldig macht, wenn er Heym bescheinigt, er habe zwar immer auf der richtigen Seite gestanden und gehöre „unterm Strich doch zu den besseren Leuten“, sei aber ein feiger Mensch. Er begeht den schwereren Fehler, eine politische Debatte, die uns noch lange beschäftigen wird, auf eine Charakterfrage zu reduzieren. Jörg Lau