Hose ausgeleiert bis unters Kinn

■ Schiedsstelle für Textil- und Reinigungsreklamationen tagt heute öffentlich in Bremerhaven

„Neulich hatten wir eine lustige Hose hier. Das Lycra war so ausgeleiert, daß der Frau die Hose bis zum Kinn gereicht haben muß“, sagt Karin Schönwolff-Budahn von der Textilberatung in der Verbraucherzentrale Bremen. Jedes Jahr werden etwa 700 Fälle eingelaufener, verfärbter oder sonstwie geschädigter Kleidung zu ihr hingetragen. Davon kommen 250 Kleidungsstücke, Teppiche, Sessel oder Sofas in die Schiedstelle für Textil- und Reinigungsreklamationen. Dort wird sachverständig geprüft, wer schuld ist an der Misere.

So manches Kleidungsstück wird einfach als altersschwach wieder abgewiesen. Die Wollhose, deren Hintern ständig auf dem Fahrradsattel rumrutscht, ist eines Tages eben durchgescheuert. „Manche VerbraucherInnen denken, sie geben ein altes schäbiges Kleidungsstück in die Reinigung und dann kriegen sie ein neues zurück“, sagt Schönwolff-Budahn. In diesem Falle ist die Trägerin selbst verantwortlich.

Bei den Fällen, die vor der Schiedstelle landen, ist entweder die Reinigung oder der Händler (in weiterer Instanz der Hersteller) haftbar zu machen. Bei den neumodischen Metallic-Look-Kleidern zum Beispiel versprechen die Hersteller mehr als sie halten können: „Das Material ist schweißempfindlich. Wenn das Kleid beim Tanzen zum Beispiel vom Partner angefaßt wird, ist es schon zerstört“, sagt Schönwolff-Budahn. Wo es vorher noch space-modisch funkelte, gähnt nun ein Glanzloch.

Die Hersteller sind ebenfalls haftbar zu machen, wenn das gute neue Stück nach der ersten Wäsche trotz richtiger Pflege eingelaufen ist. „Manchmal kann sich das Material entspannen“, sagt Schönwolff-Budahn fachfrauisch. Und meint damit, daß die Hersteller den Stoff vor dem Zuschneiden dehnen, um mehr aus dem Meter Ware herauszuschneidern. Einmal Feuchtigkeit - und die Spannung löst sich auf. Das Sweatshirt vom Papa paßt dann dem Schulkind der Familie. .

Auch beim Färben schrecken manche Stoffproduzenten vor unlauteren Methoden nicht zurück: Wenn der Stoff in der letzten Saison nicht lief, wird er einfach umgefärbt. Die Folge ist das leidige „Ausbluten“ der Stoffe. Das rote Kleid ist nach der Wäsche nur noch zartrosa, weil die Farbe nicht ausreichend fixiert war. Vor allem die kräftigen Farben „sind da sehr heikel“, weiß Schönwolff-Baudahn aus ihrer 20-jährigen Erfahrung in der Schiedsstelle. Bei den Farbfehlern nach der ersten Wäsche rät sie ihren KundInnen, sofort zurück zum Laden zu gehen, denn das Verkaufsgeschäft hat ein Gewährleistungspflicht von sechs Monaten. Innerhalb dieser Zeit muß das Geschäft das Kleidungsstück gegen die Rückerstattung des Verkaufspreises zurücknehmen.

In manchen Fällen der ausgefransten Kleidung ist allerdings die Reinigung schuld. Schönwolff-Budahn erinnert sich mit Schaudern an das problematische Hochzeitskleid: Das Brautkleid war für 400 Mark geliehen. Im Vertrag war vereinbart, daß es der Leihfirma gereinigt zurückgegeben werden sollte. Nach der Reinigung waren die Ränder ausgefranst, die Pailetten eingeschmolzen, das junge Paar mußte das Kleid für 900 Mark kaufen. Der Sachverständige wird sein Fachgutachten zur Sache schreiben, und die Jungvermählten können damit dem Hersteller auf die Pelle rücken. Meistens einigen sich die Parteien letztendlich gütlich, stellt Schönwolff-Budahn fest, dank des guten Rufes ihrer Schiedstelle.

vivA

Heute, 16-18 Uhr: öffentliche Sitzung der Schiedstelle für Textil- und Reinigungsreklamationen im Kultursaal der Arbeiterkammer, Friedrich-Ebert-Str. 3, Bremerhaven.