„... dann lassen wir die Probleme beiseite“

■ China und Vietnam wollen auf Gewaltandrohung bei Territorialstreits verzichten

Hanoi/Berlin (AFP/AP/taz) – Wie schön und beruhigend die Sprache der Diplomaten sein kann: Die Regierungen in Vietnam und China wollen „von allen Handlungen Abstand nehmen, die Dinge schwieriger machen und Konflikte ausweiten“, verhieß gestern das offizielle Kommunique zum Abschluß des dreitägigen Hanoibesuchs von Chinas Staats- und Parteichef Jiang Zemin.

Streit gibt es zwischen Vietnam und seinem mächtigen nördlichen Nachbarn vor allem über die im Südchinesischen Meer gelegenen Paracelinseln und die Spratleys (auch Spratly geschrieben). Um diese Inseln – die teilweise auch von anderen Ländern der Region beansprucht werden – ist es in der Vergangenheit wiederholt zu militärischen Scharmützeln gekommen. Während für die umstrittene Landgrenze bereits eine gemeinsame Arbeitsgruppe beider Länder eingerichtet wurde, führten bislang alle Gesprächsversuche über die Spratleys, unter denen bedeutende Erdölvorkommen lagern sollen, zu nichts. Jetzt soll sich nach den Worten von Chinas Außenminister Qian Qichen eine neue Expertenrunde damit beschäftigen. Zwar habe der Besuch Jiangs selbst keine Fortschritte in dieser Frage gebracht. Doch die Gespräche des Präsidenten in Hanoi und das gemeinsame Kommunique machten deutlich, sagte Qian an die Adresse der Nachbarländer gerichtet, daß es keine Gefahr einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen China und Vietnam gebe. „Wenn wir Probleme lösen können“, sagte der vietnamesische Außenminister Nguyen Manh Cam und nahm damit eine in der jüngeren südostasiatischen Diplomatie beliebte Formel auf, „werden wir das tun, wenn nicht, lassen wir sie beiseite, um nicht die Zusammenarbeit auf anderen Gebieten zu beeinträchtigen.“

Vor allem die Geschäfte haben seit der Normalisierung zwischen beiden Ländern im Jahr 1991, die auf den Abzug vietnamesischer Truppen aus Kambodscha folgte, rasant zugenommen. Offiziell erreichte der Warenaustausch in den ersten acht Manaten dieses Jahres ein Volumen von 500 Millionen US-Dollar, 1993 waren es noch 300 Millionen. Jiang Zemin, der als erstes chinesisches Staatsoberhaupt seit 1963 Vietnam besuchte, war auch zugegen, als gestern drei Abkommen über Handels- und Verkehrsfragen unterzeichnet wurden. Wieweit das Versprechen, auf Gewalt oder die Androhung von Gewalt zu verzichten, die Politiker in Vietnam wirklich beruhigt, ist fraglich. Zu tief ist das langjährige Mißtrauen über die Absichten des großen Nachbarlandes verankert. Und die in der jüngsten Zeit beobachtete Verstärkung und Modernisierung der chinesischen Kriegsmarine läßt viele Vietnamesen das Schlimmste fürchten. Erst im September fand das bislang größte Manöver vor der chinesischen Provinz Zhejiang statt. Die Far Eastern Economic Review zitiert die chinesische Zeitschrift Shidian, die den Ausbau der Marine mit dem Schutz wirtschaftlicher Interessen begründet. Chinas „historische“ Seegrenze schließe die Hoheit über das gesamte Südchinesische Meer ein, hieß es da. li