Eine Mine pro Person in Angola

In der Stadt Kuito sterben auch nach dem Ende der Kämpfe täglich Menschen nach Minenexplosionen / Eine Mine ist billig, aber ihre Räumung kostet etwa 1.000 Dollar  ■ Aus Kuito Willi Germund

Der Bauer in der angolanischen Stadt Kuito ist ein Fachmann besonderer Art. „Ja, ja“, antwortet er eifrig auf Fragen von Oberst Mohammed Asmal, „da drüben steckt eine Bombe, und ich weiß auch, wo einige Anti-Personen-Minen liegen.“ Die Bombe, so stellt sich heraus, ist ungefährlich. Es handelt sich um die hintere Verkleidung einer sogenannten „Cluster- Bombe“, die zahlreiche kleinere Sprengsätze über ein Gebiet verstreut. Aber die Minen liegen, gut sichtbar, unter einem Gestrüpp — zwei handtellergroße schwarze Plastikkapseln. „Ich habe sie hier im Garten gefunden“, sagt der Bauer und zeigt auf ein Stück Boden gleich neben seiner Lehmhütte. Beim Umgraben fand er die Sprengsätze und trug sie weg. Aber dann wurde es ihm doch zu gefährlich, und er stellte die Arbeit im Garten ein.

Auf jeden Einwohner des Landes, so kalkuliert in Angolas Hauptstadt Luanda der kanadische UNO-Mitarbeiter David McCracken, kommt in dem afrikanischen Land eine Mine – insgesamt zehn bis zwölf Millionen. Manche Schätzungen gehen sogar von 20 Millionen aus. „Kuito“, sagt Oberst Asmal, ein Veteran der afghanischen Streitkräfte, der jetzt für den britischen Halo-Trust in der Stadt Minen räumt, „ist besonders schlimm dran.“ 18 Monate lang belagerten die Unita-Rebellen die Stadt 120 Kilometer östlich ihrer Hochburg Huambo. Schließlich drängten die Streitkräfte der Regierung die Freischärler aus der Stadt. Übrig blieben Ruinen und munitionsübersäte Schlachtfelder.

Aber selbst Monate nach dem Ende der Kämpfe in Kuito gibt es täglich Tote und Verletzte. „Wir haben etwa fünf bis zehn Opfer pro Tag“, sagt eine Krankenschwester im Hospital Fellini. Das improvisierte Krankenhaus in einem ehemaligen Wohngebäude wurde am Todestag des italienischen Regissuers eröffnet und auf seinen Namen getauft. Die Patienten liegen auf dem Boden, zugedeckt mit ein paar groben Wolldecken. Einem Jungen riß es eine Hand weg, ein Auge ist erblindet. Er hatte eine Granate in das Feuer der Kochstelle geworfen. „Ich dachte, das sei für ein Feuerwerk“, murmelt er. Ein paar Schritte weiter liegt eine über und über bandagierte Frau. Sie traf während der Feldarbeit mit ihrer Hacke eine Mine. „In Angola gibt es etwa dreißig bis vierzig verschiedene Arten von Minen“, sagt Halo-Trust-Mitarbeiter Mike Marmol. Der Brite lernte das Handwerk des Minenräumers bei der französischen Fremdenlegion. Der Dritte im Team von Kuito, Paul Herlop, diente früher als Bombenexperte bei den britischen Streitkräften. Vorsichtig lassen sie ihren Minensucher der deutschen Marke Ebinger über das hochgewachsene Gras in einem Hain in der Nähe der abgeworfenen Cluster-Bombe kreisen. Es dauert nicht lange, bis der Apparat zu summen beginnt.

„Die Dinger liegen überall herum wie Kartoffeln“, sagt Oberst Asmal. Im Tau glitzern matt ein paar gespannte Drähte, damit Soldaten sich darin verfangen und die „Springenden Minen“ losgehen: sie fliegen etwa einen Meter in die Luft und explodieren. Asmal: „Die Splitter fliegen rund 30 Meter weit.“ Die zwei Anti-Personen-Minen bulgarischer Herkunft, die der Bauer in seinem Garten fand, stecken entschärft in der Hosentasche. 110 Gramm Sprengstoff, ein Zünder, eine Plastikkapsel – genug, um einen Unterschenkel zu zerfetzen.

„Eine solche Mine kostet vieleicht zwei bis drei US-Dollar“, schätzt Ex-Fremdenlegionär Mike, der mit Werkzeug am Hosenbund und einer ordentlichen Portion jungenhafter Begeisterung von Mine zu Mine kriecht, „aber die Kosten der Entschärfung einer Mine werden in Angola auf rund 1.000 US-Dollar geschätzt.“ Im Süden des Landes ist die Kölner Organisation „Cap Anamur“ an der Grenze zu Namibia bereits seit ein paar Jahren mit einem Minenräumprojekt beschäftigt. Bei der Vertretung der UNO in Luanda wurde das ganze Land zum Minenräumen aufgeteilt: Halo Trust hier, Cap Anamur dort, andere Organisationen in anderen Gebieten.

Aber noch ruht die Arbeit, die UN-Funktionär David McCracken als Grundvoraussetzung für den Aufbau in Angola bezeichnet: „Sie können nichts machen, solange überall Minen liegen.“ Allein die Heimkehr von rund 3,6 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen im ganzen Land ist unmöglich, solange die Straßen vermint sind. Aber auch in Städten wie Kuito blockiert die Armee die notwendigen Räumungsaktionen. „Ich habe in Luanda wieder und wieder vorgesprochen“, sagt etwa Avelino Ndala, Vizegouverneur der Stadt, „aber die Bürokraten des Verteidigungsministeriums wollen nicht einsehen, daß die Minen in der Stadt nicht bei der Verteidigung helfen, sondern unsere Bauern umbringen.“

Der Halo-Trust bildet derweil etwa 30 Männer in Kuito mit stillschweigender Duldung des Polizeichefs für Räumkommandos aus. Die drei Burschen vom Halo- Trust müssen sich ihr Ausbildungsmaterial selbst besorgen – es liegt ja genug herum. Wie gefährlich das ist, erfuhr auch Oberst Asmal. Er wollte einen Zünder südafrikanischer Herkunft zu Unterrichtszwecken auseinandermontieren. Das Ding explodierte. Jetzt liegt Asmal in einem Johannesburger Krankenhaus, wo die Ärzte versuchen, seine linke Hand wieder zu flicken.