Alubüchsenarmee, roll, roll

Dosen-Boom gefährdet mittelständische Brauereien / In Bayern über 85prozentige Steigerungsrate / Keine Erklärung für Konsumentenverhalten  ■ Von Klaus Wittmann

Eine Dosenlawine überrollt Deutschland. Viele kleine Brauereien verschwinden darin, Mehrwegsysteme werden zermalmt. So klagen mittelständische Brauereien. Im Süden Deutschlands, wo bislang die niedrigsten Anteile an Dosenbier verzeichnet wurden, sind die Zuwachsraten besonders hoch: In Bayern stieg der Anteil des in Alu- Blechbüchsen abgefüllten Gerstengebräus im ersten Halbjahr 1994 im Vergleich zum Vorjahr um 85,7 Prozent, im „Ländle“ waren es immerhin noch 46,6 Prozent. Auch im Norden greifen die BiertrinkerInnen immer häufiger zur Ex-und-hopp-Verpackung – und das seit geraumer Zeit, so daß die Zuwachszahlen nur aus diesem Grund kleiner ausfallen. 4,5 Milliarden Dosen im Jahr überschwemmen mittlerweile Deutschland, und ein Ende des Booms ist zur Freude der Aluminiumindustrie nicht in Sicht.

„Die relativ einfache Erschließung neuer Regionen und Distributionskanäle wie Tankstellen und Kioske hat uns dazu bewogen, uns für diese zusätzliche Gebindeart zu entscheiden“, argumentierte die Brauerei Veltins, als sie im Februar die Halbliterdose auf den Markt brachte. Die viertgrößte deutsche Privatbrauerei schreckte dabei nicht davor zurück, die Dose den Mehrwegflaschen gleichzustellen und als „gesellschaftsfähig“ anzupreisen. Die Leute wollten schließlich das Bier in Dosen, folglich wolle der Handel dasselbe – man habe sich dem Druck gebeugt, so der Veltins-Pressesprecher.

Auch andere Brauereien berichten von der enorm gestiegenen Nachfrage. „Wir bewerben diese Dose seit vier Jahren nicht mehr, und doch steigt die Nachfrage enorm“, wundert sich Warsteiner- Pressesprecher Martin Schütte. Zwei Marktsegmente legten enorm zu, so hat er beobachtet: Billigbier und überregionale Premiummarken. „Ich habe mich mit vielen Kollegen unterhalten, aber es kann niemand so recht erklären, woher diese gigantische Nachfrage kommt.“ Dabei sei der Dosenbieranteil bei Warsteiner noch recht gering, behauptet der Pressesprecher – knapp unter acht Prozent. Doch was gering erscheint, ist eine enorme Menge: 480.000 Hektoliter verpackt der Biergigant in 96 Millionen Metallbehälter. Das ist immerhin die sechsfache Bierproduktion einer durchschnittlichen bayerischen Brauerei.

„Kleine und mittlere Betriebe können da nicht mithalten, werden regelrecht von der Dose überollt“, kommentiert Sebastian Priller, Chef der Augsburger Riegele- Brauerei. „Das sind verrückte Auswüchse, weil ein funktionierendes Mehrwegsystem kaputtgemacht wird.“ Priller hat mit seiner gutgehenden Brauerei dem Trend bislang widerstanden. Zwar wäre Lohnabfüllung ein denkbarer Weg gewesen, und die Nachfrage sei auch bei ihm enorm gewachsen. „Jede Woche habe ich mindestens eine Anfrage aus Rußland, Rumänien oder Polen bekommen“, sagt der bayerische Gerstensafthersteller. Aber Dosenbier ist für ihn keine Alternative. Denn um Bier in Büchsen abzufüllen, muß es pasteurisiert, also kurzfristig erhitzt werden. „Und das gibt einfach einen anderen Geschmack. Das ist eine künstliche Alterung, die unserer Vorstellung vom Frischeprodukt Bier zuwiderläuft“, so der Bayer. Ähnlich argumentiert man bei der Stuttgarter Hofbräu, Markenbier-Primus in Baden-Württemberg. Pressesprecher Lutz Zeller beklagt die „Dumping-Angebote in der 0,5-Liter-Dose aus dem Norden. Aber wir machen diesen Trend nicht mit“, versichert er. Zwar haben auch die Stuttgarter schon einmal den Rechenschieber in Sachen Dosenbier hervorgeholt. „Wir haben gesehen, daß man sich nicht beides bezahlen lassen kann: Qualität und Verpackung. Entweder wir bieten gutes Bier in Flaschen oder weniger gutes Bier in Dosen. Beides auf einmal geht nicht.“

Zeller glaubt, daß der Dosenbierboom mit dem Fall der Mauer und der enormen Nachfrage in den neuen Bundesländern kam. Tatsächlich ist der Dosenbieranteil im Osten der Republik und in Berlin viel höher als im Westen. Sachsen- Anhalt liegt mit 37,7 Prozent an der Spitze vor Mecklenburg-Vorpommern (32,8 Prozent), Brandenburg (29,9 Prozent) und Berlin mit 26,9 Prozent. Demgegenüber liegen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen trotz erheblicher Zuwächse noch immer am unteren Ende der Dosenbier-Skala.

Der Präsident des Bundesverbandes mittelständischer Privatbrauereien e.V., Rainer Pott-Feldmann, warnte jüngst anläßlich der Nürnberger Brau-Fachmesse mit Nachdruck vor dem Vormarsch der Bierdose. Ihr Image sei gerade durch den Grünen Punkt – zu Unrecht – verbessert worden. Dosenbier gelte vor allem bei der jüngeren Generation als schick. Die vorgegaukelten Recycling-Argumente würden für bare Münze genommen. Und ähnlich wie seine Kollegen in Stuttgart und Augsburg fordert er, daß endlich von Bonn die Mehrwegverordnung konsequent durchgesetzt wird.

Auch die neue Auszeichnungspflicht stärke in unzulässiger Weise die Dose: Wenn nur noch der Endpreis ohne ausdrücklichen Hinweis auf das Pfand aufgedruckt werde, stelle dies eine optische Verteuerung der Pfandgebinde dar und sei somit eine Wettbewerbsverzerrung, so der Verbandspräsident.

Ein totales Versagen der Politik ist denn auch für den bayerischen Landtagsabgeordneten Raimund Kamm der Vormarsch der Bierdosen. „Das ist ein Existenz- und Jobkiller, der vom Bundesumweltministerium sogar noch sanktioniert wird“, empört sich der Parlamentarier. Etwa jede Woche werde in Bayern eine Brauerei geschlossen. „Dabei sind die Brauereien auch ein Stück Heimat und verkörpern mit ihren lokalen und regionalen Biermarken bayerische Kultur“, so der Grünen-Abgeordnete.

Kamm fordert eine Steuerreform: Die Abgaben pro Hektoliter für kleine und große Brauereien sollten noch weiter gestaffelt werden. Damit würden nicht nur kleine Betriebe erhalten, sondern auch die Umwelt von zusätzlichem Lkw-Verkehr und Verpackungsmüll verschont.