„Wer von Einzelfällen redet, ist blauäugig“

■ Oberstaatsanwalt Carlo Weber zu polizeilichen Übergriffen Polizeibeamte sagen in der Regel übereinstimmend aus

Oberstaatsanwalt Carlo Weber ist zuständig für Gruppendelikte und ausländerfeindliche Straftaten und bearbeitet auch jene Fälle, in denen Polizeibeamten Mißhandlung und Körperverletzung im Amt vorgeworfen wird. Seit 1993 hat er etwa 100 Anzeigen gegen Polizisten bearbeitet. Derzeit gibt es 55 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten, die Vietnamesen, aber auch Skinheads mißhandelt haben sollen.

taz: Herr Weber, Sie sprechen im Zusammenhang mit Verfahren gegen Polizeibeamte davon, daß die „Aussagefronten“ bröckeln und Polizeibeamte sich von ihrem Gewissen her dazu entscheiden, auch gegen Kollegen auszusagen. Können Sie Beispiele nennen?

Carlo Weber: Es handelt sich da um laufende Verfahren, da will ich nicht eingreifen.

Der Begriff „Aussagefront“ legt nahe, daß es sich bei Übergriffen gegen Ausländer nicht um Einzelfälle handelt.

Wenn man mit Hinweis auf die geringe Verurteiltenstatistik behaupten würde, es handle sich nur um einzelne Fälle, hielte ich das für blauäugig, das würde das Problem verniedlichen. Wir sind uns darüber im klaren, daß uns sicherlich einige Straftäter auf diesem Gebiet von der Schippe springen, weil die Beweislage eine Verurteilung nicht zuläßt. Daß es aber einen generellen Hang in der Polizei gäbe, Einsätze rechtswidrig durchzuführen, wäre völlig übertrieben.

Absprachen setzen voraus, daß man sich als Polizist auf seine Kollegen verlassen kann.

Natürlich sagen Polizeibeamte in der Regel übereinstimmend aus. Das heißt aber nicht, daß sie übereinstimmend lügen. Es gibt auch Verfahren, wo die Strafanzeigen gegen Polizeibeamte höchst dubiosen Charakter haben.

Der Direktor der Schutzpolizei, Piesterthat, betont, daß es sich bei den Übergriffen um ein „strukturelles Problem“ handle. Ein Großteil der Ermittlungen ist jedoch eingestellt worden. Müßten diese Verfahren nicht wie in Hamburg neu aufgerollt werden?

In Hamburg wurde nach der mir bekannten Medienberichterstattung neu ermittelt, weil eine Aktenrevision ergeben hat, daß in einer Vielzahl von Fällen schlampig gearbeitet wurde. In der von mir zu verantwortenden Abteilung hat es einen solchen Fall nicht gegeben. Das heißt nicht, daß wir nicht im Einzelfall eine Wiederaufnahme prüfen müssen.

Wann?

Da gibt es zur Zeit einen Fall, den hatten wir zugemacht und nun aufgrund eines polizeiinternen Hinweises in einem anderen Verfahren wieder aufgerollt.

Sollen sich Polizeibeamte, die Übergriffe miterleben, aber kein Vertrauen in ihre Vorgesetzten haben, an Sie wenden?

Selbstverständlich. Ich bin zwar nicht für Amtsdelikte grundsätzlich zuständig, habe aber inzwischen fast jedes Verfahren mit ausländerfeindlichen und rassistischem Hintergrund.

Läßt das darauf schließen, daß in anderen Abteilungen der Staatsanwaltschaft ein Korpsgeist Ermittlungen behindert?

Nein. Dafür habe ich keinerlei Anhaltspunkte.

Wollen Sie das ausschließen, oder sind Ihnen nur keine Fälle bekannt?

Ich gehe davon aus, daß es keinen solchen gibt. Ich weiß aber, daß in anderen Abteilungen nicht immer mit der Sorgfalt gearbeitet werden kann, wie es in meiner Abteilung der Fall ist, weil in den sogenannten Buchstabendezernaten natürlich viel mehr Fälle bearbeitet werden und weil die Dienstaufsicht nicht so ausgeübt wird.

Wie bei Ihnen?

Ich schaue mir bei den 3.000 Verfahren pro Jahr in meiner Abteilung jedes Ergebnis an. Meine Leute stehen immer unter meiner Aufsicht. In jedem einzelnen Fall. Interview: Uwe Rada