Mit 55 Jahren in die Altersfreizeit

■ WZB-Studie für Kurswechsel bei der Frühverrentung

Berlin (taz) – Mit 55 Jahren sind Männer und Frauen eigentlich in den besten Jahren – wenn sie was mit ihrer Freizeit anfangen können. Der Automobilkonzern VW und das Chemieunternehmen Hoechst schicken Kollegen schon in diesem Alter in den Ruhestand. Post und Bahn verrenten früh, um Personal zu reduzieren. Nicht nur Bundesarbeitsminister Norbert Blüm kritisiert die Firmen wegen dieser Praxis. Auch eine jüngst erschienene Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) fordert einen „Kurswechsel in der Altersgrenzenpolitik“.

Nach Angaben des Arbeitsministeriums treten Männer heute mit durchschnittlich 59 Jahren den Ruhestand an. Die Erwerbsquote unter den 60- bis 64jährigen liegt bei den Männern nur noch bei 32 Prozent, bei den Frauen bei etwa zehn Prozent. 1966 gehörten noch 78 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen in dieser Altersgruppe zu den Erwerbspersonen.

Die Frühverrentung vor Erreichen der flexiblen Altersgrenze von 63 Jahren wird nicht nur von Unternehmensseite genutzt, um Personal zu „verjüngen“ oder abzubauen. Auch bei den Beschäftigten habe sich seit den 70er Jahren eine „positive biographische Orientierung“ auf die vorgezogene Altersfreizeit entwickelt, stellten die WZB-Forscher fest. In einem Stadtreinigungsbetrieb beispielsweise stieg der Anteil gesundheits- und leistungsbedingter Verrentungen innerhalb von acht Jahren von 79 auf 89 Prozent, bei gleichbleibender Arbeitsbelastung. Der „goldene Handschlag“ vom Chef ist allerdings ein teurer Spaß für die Versichertengemeinschaften. Die Erwerbsunfähigkeits- und Schwerbehindertenrenten, mit denen vor allem der öffentliche Dienst Personal reduziert, belasten die Rentenkassen. Unternehmen dagegen schicken ihre Beschäftigten gerne via Arbeitsamt in den vorgezogenen Ruhestand. Die Entlassenen erhalten dann bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld plus einer satten Aufstockung vom Betrieb und gehen mit 60 in Rente. Mehr als 70.000 Mark kostet eine solche Frühverrentung die (West-)Arbeitsämter.

Um dem Trend entgegenzuwirken, soll nach dem Rentenreformgesetz das Rentenalter vom Jahre 2001 an verbindlich auf 65 Jahre heraufgesetzt werden. Ob damit aber die öffentlichen Kassen geschont werden, ist fraglich. Denn in vielen Unternehmen schafft erst der vorgezogene Ruhestand wieder die Möglichkeit zur Neueinstellung von jüngeren Kollegen. Die WZB-Forscher schlagen daher wirksame Teilzeitregelungen vor, mit denen Ältere gleitend in den Ruhestand entlassen werden.

Solche Teilzeit aber müßte für die Beteiligten verbindlicher sein als die 1992 eingeführte „Teilrente“. Die Teilrente ermöglicht es Personen, gleitend vom Vollzeitjob auf Teilzeit zu wechseln und dabei schon einen Teil der Rente zu beziehen. Seit 1992 hätten nur rund 2.800 ArbeitnehmerInnen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, heißt es im Arbeitsministerium. Oft mangelt es an geeigneten Teilzeitjobs, oft auch an der Bereitschaft der Beteiligten. „Die meisten Beschäftigten wollen nicht gleitend ausscheiden“, meint der Berliner Arbeitszeitberater Andreas Hoff, „das ist auch ein Bewußtseinsproblem: entweder ganz oder gar nicht.“ Barbara Dribbusch