Typen für dich und mich

Wie ein Bildungsroman – Eine Ausstellung im Museum für Verkehr und Technik zeigt Geburt, Geschichte und Wirkung unserer Schrift, von kritischen Debatten gänzlich unberührt  ■ Von Michaela Ott

„Die Schrift ist das Bild der Stimme“: diese auch von der Aufklärung vertretene These, die der Stimme wegen ihrer Nähe zum Seelenhauch Priorität vor der Schrift einräumt, wird in der Philosophiediskussion wie keine andere als eurozentristisch gebrandmarkt und kritisiert. Ganz unhinterfragt ist sie das Motto der jüngst im Museum für Verkehr und Technik eröffneten Ausstellung. Ihre auf phonetische Schriften sich beschränkende Gültigkeit erklärt und entschuldigt sich indes gleichzeitig zu Beginn der Ausstellung selbst. Keilschrifttafeln und Hieroglyphenblöcke, chinesische, hebräische und arabische Schriftexemplare, Pergamenthaut, Papyrusrollen und Wachstäfelchen stellen nur die exotischen Vorläufer jenes Ereignisses dar, zu dem man bezeichnenderweise durch einen Triumphbogen gelangt: zu Geburt, Geschichte und Wirkung unserer Schrift.

Der Triumphbogen erlaube nämlich den Brückenschlag zwischen römischer und germanischer Kultur. Er schiebt uns in seinen Inschriften die lateinischen Lettern als kapitale Fortsetzer des griechischen Alphabets zu eigenem Triumphgebrauch zu. Und Karl der Große, in symbolischen Dingen nicht lässig, bildet denn auch die merowingisch ungleichmäßigen Krakel in quadratisch gleichmäßige Minuskeln um. Damit ist die Voraussetzung für eine sich unabhängig von der merowingischen Gebrauchsschrift entwickelnde Buchschrift gegeben, die in Klöstern und Zentren der Schriftkunst unterschiedliche Ausprägungen erfährt und mit ihren Kleinbuchstaben die lateinischen Großbuchstaben zur heutigen „Zweialphabetenschrift“ ergänzt. Der Begleittext verleiht diesem vorläufigen Schriftabschluß einen merkwürdig apologetischen Zug: „Schrift ist Ausgang und Endpunkt mittelalterlichen Lebens, obgleich große Teile der Bevölkerung sie nicht lesen konnten.“ Unsere solchermaßen festgeschriebene Schriftkultur läuft damit – in strenger Parallele zu dem im Zeitraffer miterzählten gesamtgeschichtlichen Kulturkampf – auf das Schlußduell zwischen klassizistischer Antiqua und deutscher Fraktur hinaus. Deren glaubenskriegsähnliche Rivalität, die im Zentrum der Ausstellung steht und einen unverhältnismäßig breiten Raum einnimmt, vermittelt sich als Kampf der im 18. Jahrhundert sich ausbreitenden geometrisch schlichten Buchstabenformen gegen die von der Gotik bevorzugten schlanken und gebrochenen der deutschen Schrift. Das „Gotisch-Schnörkeliche“ soll „weggeschafft“ werden. Was da mit zahlreichen Buchexponaten dokumentiert wird und wovon heute nurmehr die bescheiden- gedrängten Frakturzeichen der FAZ zeugen, ist das deutsche Schriftdrama als Untergang des gotischen Erbes und Siegeszug der lateinischen Tradition. Vor dem Antiqua-Sieg ausgerechnet im postskripturalen Computerzeitalter und der Durchsetzung der DIN-Norm in der Typographie liegen freilich noch höchst individuelle und betrachtenswerte Stationen.

Überhaupt eine allgemeine handschriftliche Vielfalt vor der Normierung der Schrift in den Schönschreibübungen der allgemeinbildenden Schulen, die auch eine druckschriftliche Variationsbreite zur Folge hatte: spitzgotische Schriften, die neben der Gebrauchsschrift der gotischen Kursiven existierten, Bastardschriften, in denen sich Buch- und Gebrauchsschriften mischten – Exemplare schriftästhetischen Gaudiums im Bleisatz, bevor mit der Typographie Fragen des Zeilenabstands und Seitenumbruchs dominant wurden.

Die Liebe zu unserer Schrift – in der Ausstellung teilt sie sich als aufgeschlagenes Buch zahlreicher, eng bedruckter Begleittexte mit. Wer hier etwas über die Schrift erfahren möchte, muß lesen, lesen, lesen... Selbst die technische Seite des Schreibens und Druckens kommt im Museum für Verkehr und Technik denkbar kurz. Weder Schreib- noch Druckwerkzeuge werden im Detail vorgestellt oder erklärt. In Schaukästen sind allerhand Federhalter und schulisches Schreibmaterial quer durch die Zeiten sowie Fibeln in den genannten rivalisierenden Schrifttypen zu sehen. Nichts erläutert die Entwicklung unseres Schreibwerkzeugs vom kratzenden, klecksenden Federhalter zum selbstleuchtenden, gleitenden Marker oder die Ablösung des Schreibkrampfes durch Knopfdruck auf die Computermaus. Sie weiß nichts von der drohenden Absorbtion der Schrift durch das Bild – bereitet nur alles fein säuberlich in zarter Graphik auf. Michaela Ott

Bis zum 30. April 1995 im Museum für Verkehr und Technik