Ein unbedeutendes Fleckchen in Bosnien

■ Ein Porträt der Stadt vor dem Krieg: Strategisch war Bihać nie von Interesse

Kein Fremdenführer erwähnt den Ort. Noch vor vier Jahren war Bihać, im Tal des Flusses Una gelegen, ein unbekanntes Provinznest. Kaum ein Großstädter in Ljubljana, Zagreb oder Belgrad kam je in diese verlassene Gegend Nordwestbosniens.

Wer im Sommer zum Baden ans Meer fuhr, wählte einen bequemeren Weg als über die Berge um Bihać, wer geschäftlich in Sarajevo zu tun hatte, mied die schlechte Bundesstraße 5, auf der kein zügiges Fahren möglich war. Nur Touristen verirrten sich hin und wieder beim Tagesausflug in den Naturpark der Plitvicer Seen und fluchten, wenn sie abends hungrig und müde in Bihać ankamen. Anders als an den Küstenstädtchen entlang der Adria war dort nach 21 Uhr nichts mehr zu bekommen, kein warmes Essen, kein Hotelzimmer. Die Einwohner zeigten sich verschlossen, suchten kaum Kontakt zu Fremden. Man wollte unter sich bleiben.

Zusammen mit Dutzenden von eingemeindeten Dörfern lebten hier vor Kriegsausbruch 70.000 Menschen auf engstem Raum. Es waren die muslimani, wie die Bosnier damals genannt wurden, die sich hier verstärkt ansiedelten, nicht zuletzt, da sie in Banja Luka, Zadar oder Split nicht so gerne gesehen wurden und es hier leichter war, Arbeit und Wohnung zu finden. So kommt es, daß der muslimische Anteil der Bevölkerung in der Gegend von Bihać – in der Nähe von Kroatien – höher ist als in anderen Gebieten Westbosniens.

In der Geschichte spielte der Ort nie eine größere Rolle. Erst die Kommunisten unter Tito machten aus dem Provinznest eine „moderne Industriestadt“. Eine Anhäufung von Chemiebetrieben und Kohleminen prägte die Landschaft, ein kleiner Stadtkern mit Moschee und Bazar wurde zur Fußgängerzone erklärt, ein paar Boutiquen und einfache Stehkneipen bildeten die Flaniermeile.

Ohne den Krieg wäre Bihać irgendein unbedeutender Flecken auf der bosnischen Landkarte geblieben, wie Goražde oder Srebrenica, zwei Städte, die schon im Vorjahr ein ähnliches Schicksal ereilte. Bosniens Serben verfolgen bei ihrer Eroberung nur ein Ziel: die Spuren einer islamischen Gemeinschaft auszulöschen, nur deshalb ist ihnen der Ort ein Dorn im Auge. Strategisch gesehen ist Bihać von geringem Interesse. Auch in einem Großserbischen Reich würde sich kaum ein Belgrader in diese Region verirren. Karl Gersuny, Wien