Die eigene Kultur vergessen

■ African Dance Records in Berlin: Musiker von Makwerhu, Livin' Spirits und ihr Label-Chef im Gespräch

Auf Berliner Konzertbühnen schießen die African Roots ins Kraut. Für viele Musiker aus Afrika ist Berlin zur (zweiten?) Heimat geworden. Sie versuchen hier, der restriktiven Einwanderungspolitik zum Trotz, von ihrer Musik zu leben. Andreas Becker sprach mit zwei Musikern aus Südafrika und ihrem Berliner Labelmanager im Café Vier Linden in Kreuzberg: Vido Jelashe, neuer Sänger der altbekannten Berliner Reggaeband Livin' Spirits; Mike Makhubele, Sänger und Gitarrist von Makwerhu; Nick Willer, Musiker und Gründer des Berliner Labels African Dance Records. Die CDs der beiden Bands sind die ersten Veröffentlichungen des Labels. Nach diversen Konzerten der Bands in Berlin und Westdeutschland sind Makwerhu inzwischen nach Südafrika abgereist. Sie werden dort erstmals ausgedehnt in Namibia und Mosambik auftreten.

taz: Wie sah die Situation für Musiker vor den ersten gemeinsamen Wahlen aus?

Mike Makhubele: Es gab keine Unterstützung für populäre African-Highlife-Musik in ganz Südafrika. Ich bin nur aus dem Land rausgekommen und konnte die Platte in Berlin machen, weil ich Nick bei einer Tournee mit einer Tanzgruppe in London getroffen habe. Erst mußte Nick als Deutscher nach Südafrika kommen, damit sich dort jemand für uns interessierte.

Nick Willer: Die ganze Musikszene Südafrikas sitzt in Johannesburg: Promoter, Plattenfirmen, alle. Aber es gibt nur drei Clubs in der ganzen Stadt, die originäre Bands auftreten lassen. Und in diesen drei Clubs hat man auch nur eine Chance, wenn man Coverversionen spielt. An uns waren sie interessiert, weil ich mit meiner Band aus London kam. Bei afrikanischen Bands winken sie sofort ab, wenn die afrikanische Musik spielen wollen und nicht einfach Bob Marley.

Auch in Kapstadt gibt es wahnsinnig viele gute Musiker, eine riesige Jazzszene. Südafrika hat vielleicht die besten Musiker der Welt, aber die haben keine Chance. Die arbeiten alle in der Fabrik, um zu überleben.

Makhubele: Du konntest da kein Busineß machen. Nicht mit deinen eigenen Sachen. Man kann keine Platte aufnehmen. Nichts. Die Clubs sind alle in den reichen, weißen Gegenden. Unser Publikum lebt in den Gettos, am anderen Ende der Stadt. Die Busse fahren nur bis 18 Uhr. Nach dem Konzert kommt man nicht mehr nach Hause. Die alte Regierung hat die Separation gefördert. Wir hoffen alle, daß die neue Regierung eine Menge verändert. Die Leute müssen ihre eigene Kultur wiederentdecken. Wenn jetzt nichts passiert, können wir wenigstens sagen: wir haben euch gewählt, warum tut ihr nichts?

Willer: Es gab eine Band in Jo'burg, Sons Of Selassi, die hatten phantastische eigene Songs. Aber sie mußten zwei Jahre lang in Clubs nur Bob-Marley-Cover und so was spielen. Danach hatten sie ihre eigenen Songs vergessen.

Vido Jelashe: Es gibt Leute, die African-Jazz spielen. Wir haben Jazzpioniere wie Winston Mankunkungus. Nicht dieses Charlie- Parker-Ding. Richtigen African- Jazz. Das brauchen wir. Wir wollen afrikanisch sein. Wenn wir Pop machen, dann African-Pop. African-Reggae. So wie in Westafrika. Salif Keita oder Alpha Blondy. Die spielen African-Reggae.

Wenn ich Reggae spiele, hat das viel mit Jamaica zu tun, aber auch mit mir selbst. Mit meiner individuellen Geschichte in Südafrika. In der Schule haben sie nie unsere Geschichte gelehrt. Sie haben uns von Christoph Kolumbus erzählt. Jedem Schwarzen in der ganzen Welt. Auf Jamaica erzählen sie in der Schule, Kolumbus hätte die Insel entdeckt. Vor 1492 gab es demnach Jamaica nicht. Deshalb heißt Kolumbus dort nur noch Christopher Liar – der Lügner.

Makhubele: Durch die Musik wollen wir unsere Geschichte wiederfinden, die uns in der Schule vorenthalten wurde. Musik kann eine Art Geschichtsbuch sein. Das ist eine alte afrikanische Tradition.

Worin besteht für euch der Unterschied zwischen dem Rassismus hier und dem in Südafrika?

Jelashe: We need to fight it everywhere, to get everyone on the right track. In Südafrika haben sie die Apartheid zum Gesetz gemacht. Es ist nicht eine Art Spaß für einige – wie in Europa. Es war ein Gesetz. Ich durfte an Stränden nicht baden, weil es Schilder gab: „Only Whites“. Ich durfte nicht auf bestimmte Toiletten gehen. Frieden wird es nur geben, wenn es Gerechtigkeit gibt. Ohne eine gerechte Einkommensverteilung gibt es keine Versöhnung. Justice before peace, das war immer unsere Forderung. Das Wort dafür in Afrika heißt: „kiepla“.

Ist Malcolm X wichtig für eure Entwicklung gewesen?

Jelashe: Malcolm X hat den African Americans klargemacht, wer sie sind. In den Sechzigern, in der Zeit des Ku-Klux-Clans hat er einen Kampf gegen weiße Gewalt geführt und den Leuten ein schwarzes Bewußtsein eröffnet. In Jamaica war es Marcus Garvey. Martin Luther King war nicht so radikal, aber auch sehr wichtig. Für Südafrika war Steven Biko ein Malcolm X. Er starb im Gefängnis.

Für mich gibt es kein neues Südafrika, sondern nur ein vereinigtes, freies Afrika. Everyone has to realise, that we are one.

Livin' Spirits: „Free the Children“. Makwerhu: „Somandla“. Beide auf African Dance Records