Im Supermarkt der Vergnügungsindustrie

■ Ein wenig vergnügliches Herumirren zwischen den diversen Berliner Radiokanälen: Die meisten Sendungen können den Hörer kaum oder nur für kurze Augenblicke fesseln

Das Heute ist blöde und früher war alles besser. Da war das Radio Freund, großer Bruder und vertrauter Genosse. Frühmorgens verließ man zusammen mit den Kindern aus der „Familie Findig“ (Berliner Rundfunk) das Haus Richtung Schule, die die Vorbereitung sein sollte fürs echte Leben im Falschen. Nachts unter der Bettdecke hörte man internationale Hitparaden auf Mittelwelle, abends erörterte „Dr. Markus“ immer mitfühlend Geschlechtliches. An Wochenenden berichtete der vom Westen hingemeuchelte Professor Doktor Dathe sehr anschaulich von allerlei Neuigkeiten aus dem Berliner Zoo.

Der Moderator war der Held in einer Zeit, in der es im „Äther“ noch Lücken gab. Inzwischen ist er einer unter vielen. Das mag zwar demokratischer sein, schön ist es trotzdem nicht. Feuchten Auges geht man zuweilen noch zum Friedhof und stellt ein paar Blumen auf das Grab von Radio 100 und denkt aus irgendwelchen Gründen an Harald Asel.

Was früher Äther war, ist heute Supermarkt der Sinn- und Vergnügungsindustrie. Die Waren rufen: Kauf mich! Die meisten Sender müssen sich alle paar Minuten ihrer Identität versichern: „94,2 – rs 2 – immer schneller, aktueller“, „Besser für Brandenburg – BB- Radio rund um die Uhr“. Besonders hart sind die Verbrecher von Klassik-Radio, charmant irgendwie dagegen die Erkennungsmelodie von „Antenne Brandenburg“. Handwerker hören übrigens vor allem „schmutzige Radiosender wie 100,6“ (Eulenspiegel).

Wie in jedem Supermarkt deprimiert das Herumirren zwischen den Dingen, die immer nur augenblicksweise gefallen und einen festhalten. Manchmal nimmt einen prima Musik ein paar Momente mit, an Features bleibt man länger kleben (die Mongolei ist da in den letzten Monaten der Renner). Doch wenn man die um Profitmaximierung bemühte Stimme um Jugendlichkeit bemühter Moderatoren hört, klinkt man sich schnell wieder aus.

Komischerweise haben sich trotz der Programmaximierung ein paar Moderatoren mit eigener Stimme gehalten. Die sorgen dann wie Doktor Kuttner, John Peel (immer noch auf BBC) oder der seltsam gedächtnisstarke Lutz Bertram (Radio Brandenburg) für diese oder jene Identität, wobei das wiederum auch nicht so ganz unproblematisch ist – zum einen funktioniert die Umsetzung der individuellen Stimmen ins Fernsehen nur selten (bei Kuttner und Bertram), zum anderen gibt es inzwischen einige Radiosprecher, die darum bemüht sind, Bertram zum Beispiel zu kopieren und damit zu vervielfältigen. Da leidet dann wieder die Originalität des Originals.

Interessanterweise reagiert man im Radiosupermarkt inzwischen auch auf die Beschwerden der Kunden, die sich nach Altem zurücksehnen. Den Rias-Star-Discjockey Lord Knut zum Beispiel, dem es in den letzten Jahren eher schlecht erging – „er verlor Bein, Geld, Freunde, Job, Publikum“ (Berliner Zeitung) – hat man zurückgeholt. Nun macht er jeden Montagmorgen auf rs 2 zwischen sieben und acht eine kleine Presseschau. Das Problem ist nur, daß ich noch schlafe, während Lord Knut schon hellwach seine Späßchen macht.

Zuweilen verirrt man sich ans Ende der Skala. Während SFB 4 unter dem Kindergartennamen „Radio Multi-Kulti“ dort ein äußerst angenehmes Programm macht – das, wenn es sich um polnische oder serbische Sendungen handelt, auch noch den Vorteil hat, daß man sich beim Hören auf anderes konzentrieren kann –, lauert auf 105,5 „50plus“. Thoelkes Seniorenradio ist eine harmoniesüchtige Bastion deutschen Mainstreams der sechziger Jahre. Sendungen heißen „Nachtbus“ (mit einem schon perfekt auf väterlich geklonten Moderator), „Stauseelsorge“ oder „Plausch auf plüsch“ – „Ich nehme an, Sie bleiben dran“. Die Schlager sind meist eher lebensmüde: „Alle sind verliebt und ich muß traurig sein“. Die Hörer, die anrufen, beginnen gewöhnlich mit „ ... ich hätte mal 'ne Frage“.

Ein Sender, den man hört, bevor man aus dem Fenster springt, dachte ich zunächst, dann landete ich zufällig am Sonntagvormittag im „Swingingpool“. Da lief Louis Armstrong, und ein gemütlicher Jazzonkel sprach in angenehmer Stimme, und das war doch sehr schön. Detlef Kuhlbrodt