Schäuble variiert das Thema Nation

■ Vortrag vor der Konrad-Adenauer-Stiftung / Lob für Joschka Fischers kooperative Rede im Bundestag

Wesseling (taz) – Schwarz-grün hat Konjunktur – zumindest als Gedankenspiel. Die Spitzen von Union und Bündnisgrünen dementieren zwar offiziell und lautstark, aber der Klimawechsel ist in Bonn deutlich zu spüren. Mal ironisch, mal berechnend wird die neue Entkrampfung kommentiert. Aber bewegt sich, was für ein – noch utopisches – Bündnis unerläßlich wäre, die Union in Kernbereichen der Politik tatsächlich?

Drei Tage vor dem CDU-Parteitag am kommenden Montag variierte der wichtigste Programmatiker der Union gestern öffentlich ein Thema, das spätestens seit dem Berliner CDU-Parteitag zu den Kernelementen seiner politischen Botschaft gehört. Vor dem Eichholzer Forum der Konrad-Adenauer-Stiftung sprach Wolfgang Schäuble über „Nationale Identität und die innere Einheit Deutschlands“.

Zwei Tendenzen fielen gegenüber früheren, oft wiederholten Äußerungen des CDU/CSU-Fraktionschefs auf: Schäubles Beschreibung einer angeblich auseinanderfallenden Gesellschaft war im Ton noch schriller als bisher. Das von ihm gepriesene Heilmittel „Nation“ aber betonte der gewiefte Taktiker weniger. Er ordnete die Nation neben andere Formen der Gemeinschaft ein und verzichtete in seinem Vortrag gar auf die pathetische Formel von der „Nation als Schutz- und Schicksalsgemeinschaft“.

Kapitalismuskritiker hätten Schäubles Lamento kaum schärfer fassen können: Der Wettbewerb regiere, die Auflösung traditioneller Sozialmilieus gefährde soziale Einheiten (bei Schäuble: „Gemeinschaften“) wie Familie oder Gemeinden. Eine „Ego-Gesellschaft“ entwickle sich, sofern die „Individualisierung“ voranschreite, ohne daß Gegenkräfte gestärkt würden.

Das Heilmittel bleibt freilich das alte, auch wenn die Schriftzüge des Doktor Schäuble auf seinem Rezept für das gefährdete Deutschland neuerdings etwas gefälliger ausfallen: die Bindungskraft der Nation soll als „emotionales Element“ den Menschen an die „Gemeinschaft“ heranführen. Die Deutschen sollen sich nach Schäubles Willen „auf die Grundlagen der nationalen Gemeinschaft besinnen und sie wieder mit Leben füllen“.

Daß sein Konzept die Nation nicht überhöhen wolle, weder der Westbindung entgegenstehe noch der europäischen Einigung, betonte der CDU/CSU-Fraktionschef wie schon öfters in der Vergangenheit („In den globalen Verteilungskämpfen wird sich kein europäisches Land allein behaupten können“). Aber die Frage von Ausländerrechten und Staatsbürgerschaft blieb in dem Vortrag ebenso ausgespart wie die Frage, ob nicht gerade die Wirtschaftspolitik der Union die von Schäuble beklagte Entwicklung hin zu Vereinzelung und Egoismus fördert.

Auf die aktuelle Diskussion um eine schwarz-grüne Zusammenarbeit ging Schäuble anschließend vor Journalisten ein. Mit Blick auf die Thesen amerikanischer Kommunitaristen, die er zitiert hatte, schickte der Unionschef zunächst eine taktische Distanzierung voraus: Es sei falsch, wenn nach jeder Äußerung, die eine Nähe zu den Grünen aufweise, sofort über schwarz-grüne Koalitionen spekuliert werde. Allerdings hätten beide Parteien gegenseitige Berührungsängste abgebaut – „mehr bei den Grünen als bei uns“.

Die Bundestagsrede des grünen Fraktionssprechers Joschka Fischer zur Regierungserklärung des Kanzlers vom Mittwoch lobte Schäuble ausdrücklich. Auf die Frage, ob er die Fischer-Rede als partielles Kooperationsangebot verstanden habe, meinte der CDU-Politiker, er habe vor allem einen an die Union gerichteten Satz Fischers herausgehört. Der habe gelautet: „Mit der SPD und Herrn Scharping lohnt nicht zu diskutieren. Aber mit Ihnen.“ Schäubles vieldeutiger Kommentar: „Da hat er recht.“ Hans Monath