„Das Wetter ist sehr warm, wenn man im Bett ist“ Von Ralf Sotscheck

Naturkatastrophen sind selten in Irland, sieht man einmal vom Wetter ab. So war das Erdbeben, das am vergangenen Montag den Nordwesten der Insel heimsuchte, das Hauptgesprächsthema. Zu einer echten Katastrophe reichte es aber nicht, die Erschütterungen brachten es gerade mal auf 2,1 auf der Richter-Skala – für Irland allerdings rekordverdächtig. Experten rätseln, warum die seismischen Aktivitäten im Vergleich zu Großbritannien so gering sind. Es könnte die Ruhe vor dem Sturm sein, orakelt Professor Brian Jacob von der Schule für kosmische Physik in Dublin. „Nirgends ist man sicher“, warnt er.

Doch zurück zum Wetter. Obwohl die Grüne Insel als Feuchtzone gilt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die IrInnen jedesmal aufs neue überrascht sind, wenn es anfängt zu regnen. Manche halten sich eine Zeitung oder eine Einkaufstasche über den Kopf, andere suchen unter Bäumen oder in Geschäften Zuflucht, doch die meisten tun so, als sei nichts geschehen: Sie laufen seelenruhig weiter durch den Regen. Einen solchen Tag mit Nieselregen nennt man in Irland einen soft day. Doch egal wie das Wetter ist – es ist in jedem Fall eine Unterhaltung wert. „A lovely day, isn't it?“ Diese einfache Begrüßungsformel, die auch dann gilt, wenn der nasse Hut auf dem Kopf eigentlich eines Besseren belehren müßte, kann die Einleitung für eine Diskussion über ein Fußballspiel, die politische Weltlage oder gar den Sinn des Lebens sein. Auf eine Beschwerde über die Kälte weist der Gesprächspartner möglicherweise darauf hin, daß es noch lange nicht so kalt sei wie an jenem historischen Tag, als die Republik Irland das nordirische Team im Fußball besiegt hat. Nun ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einer Debatte über den Nordirlandkonflikt. Und dann ist auch die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht mehr fern. Man sollte sich also davor hüten, achtlos eine Bemerkung über das Wetter hinzuwerfen, ohne sich über die möglichen Konsequenzen im klaren zu sein.

Der Dubliner Schriftsteller Jonathan Swift hatte einmal geschrieben: „Das Wetter ist sehr warm, wenn man im Bett ist.“ Kaum hat die irische Fremdenverkehrszentrale Anfang des Monats beschlossen, Irland als Winterferienparadies zu vermarkten, da melden die Meteorologen den wärmsten November in der Geschichte des Landes. „Verwirrte Osterglocken in voller Blüte“, meldete die Irish Times am Donnerstag auf Seite 1. Die Schwalben sind noch nicht nach Süden gezogen, die Igel denken gar nicht an Winterschlaf. Mit der Wärme kam der Regen – aber das ist man ja gewohnt.

Das Wetter ist vermutlich schuld daran, daß die alten Römer nie versucht haben, Irland zu erobern. „Die Herren des schönsten und reichsten Klimas auf dem ganzen Globus“, schrieb der Historiker Edward Gibbon im Jahr 1784, „wandten sich mit Verachtung von den düsteren und von Winterstürmen befallenen Hügeln ab, von den im blauen Nebel versteckten Seen und von der kalten und einsamen Heidelandschaft, über welche das Rotwild von nackten Barbaren gejagt wurde.“ Das Rotwild ist inzwischen aus Irland fast verschwunden, die „Barbaren“ sind mehr oder weniger zivilisiert, und wer nackt herumläuft, wird eingesperrt. Nur das Wetter ist geblieben, wie es war.