■ Warum ist der Bock blau? Kein Porträt von Reno Nonsens
: Am Anfang war der Unsinn

Alfred Edel war der größte deutsche Kleindarsteller. Doch der im Vorjahr verschiedene Poet der Belanglosigkeit wird noch einmal übertroffen: von einem anderen Frankfurter. Von ihm wissen nicht einmal Vertraute, wie alt er ist und ob er wirklich so heißt: Regnauld „Reno“ Nonsens ist der unbekannteste Superstar Deutschlands. Durch seine singuläre Medienerscheinung in „Zum Blauen Bock“ grub Nonsens eine unlöschbare Spur in die Erinnerung der nationalen Fernseh-Erinnerung. Nicht einmal der 1982 verstorbene letzte Postillion, Walter Spahrbier, reicht an seinen stillen Ruhm heran.

Wer mindestens einmal einen Fernsehapparat aus der Nähe sah, hat auch „Zum Blauen Bock“ gesehen, dieses nicht enden wollende Nachkriegsbesäufnis. Dionysischer Geist in Frankfurt: Der „Bock“ ist nicht nur ein aus der griechischen Mythologie überlieferter Halbgott, sondern auch die umgangssprachliche Bezeichnung für einen Angehörigen des männlichen Geschlechts, dessen Verhaltensweise sich durch Hypertrophie des Begattungstriebs auszeichnet. Wobei der Konsum kostengünstig herstellbarer Alkoholika (Apfelwein, sprich Ebbelwoi) als metaphorische Kennzeichnung des trinkenden Huftieres mit einfließt: Deswegen ist der Bock blau.

Und in jedem „Bock“ hat Nonsens einen Auftritt gehabt. Lia Wöhr (Gott hab sie selig) rief immer: „Hä (rr) Nonn-sens!“ – und dann kam: ER. Der notorische Miesepeter mit dem grantigen Gesichtsausdruck und den patzigen Bemerkungen. Alle waren fröhlich, heiter, unbeschwert. Nur ER nicht. Für ihn gab es immer etwas zu maulen. Ist es daher übertrieben zu sagen, daß „Zum Blauen Bock“, dieses Urgestein deutscher Fernsehunterhaltung, dieses „Senioren-Punkfernsehen“, sich in Wahrheit nur um Reno Nonsens herum als (exzentrisches) Zentrum organisiert hat? Ist es übertrieben zu sagen, daß man stets auf seinen Auftritt gewartet hat, fiebrig, so wie man auf Alfred Hitchcocks Erscheinen in dessen Filmen gewartet hat (so daß Hitchcock sich später dazu entschloß, ganz am Anfang aufzutreten, damit die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht weiter abgelenkt würde)?

Nonsens ist eine Person von größter Erhabenheit. Es bedarf nur einer kurzen Erwähnung, und (fast) jeder sieht ihn vor sich, leibhaftig, als wäre es gestern. Kurzum: Ein Porträt über Regnauld Nonsens würde das ganz Besondere seiner Erscheinung glatt banalisieren. Was interessieren Details seiner Vita? Was bislang keiner wußte, muß auch jetzt nicht publik gemacht werden. Er gehört zu Frankfurt wie Frau Rauscher aus der Klappergass'. Den bürgerlichen Namen des gebürtigen Straßburgers, Wahlfrankfurters, ausgebildeten Gerbermeisters und passionierten Fußgängers zu verraten – er steht im Telefonbuch – käme einem Sakrileg gleich. Mehr über Nonsens wird nicht verraten. Porträts sind nur für die Mittelmäßigen. Er zählt nicht zu ihnen.

Nur so viel: Vor dem Hintergrund, daß „Zum Blauen Bock“ nur ein Trabant Regnauld Nonsens' war, muß man sich nun folgende Szene vor dem geistigen Auge vorstellen: Wir schreiben das Jahr 1965 und befinden uns in einem Hörsaal der Frankfurter Universität. Ein Erstsemestler bemüht sich beflissen, den Professor hinter dem Rednerpult zu verstehen, und fragt: „Herr Adorno, was ist denn das ,Nichtidentische‘?“

Wir wissen nicht, was der Professor hierauf antwortete, können jedoch sichergehen, daß er sich nach Kräften bemüht hat, den Fragenden in Kenntnis zu setzen. Heute sind wir schlauer. Wir könnten den Wissensdurst des Erstsemestlers mit einem einzigen Satz befriedigen: Das Nichtidentische ist Nonsens! Manfred Riepe