■ Nebensachen aus Washington
: Wo oben (Himmel) und unten (Hölle) ist

Fast zwei Wochen lang hat sich meine geschätzte Freundin Clarice geweigert, über die Wahlen ein einziges Wort zu verlieren. Wann immer das Thema beim gemeinsamen Abendessen oder nach dem Kino auftaucht. Oder im Fitneß-Club. „Bitte nicht ...“, sagt sie mit einem Gesichtsausdruck, der auf eine unmittelbar bevorstehende Hyperventilation hindeutete.

Posttraumatisches Schocksyndrom, würde der shrink diagnostizieren. Derzeit weitverbreitet unter Linken, Liberalen, clintonites und ein paar tausend, meist jungen MitarbeiterInnen von Kongreßabgeordneten der Demokratischen Partei. Die kamen vor zwei Jahren im Zuge der clintonphoria nach Washington, spuckten in die Hände und wollten das Land verändern. Jetzt hat sich das Land verändert – und sie müssen ihre Schreibtische räumen.

Vor ihren Augen messen die republikanischen NachfolgerInnen bereits die Büroräume aus, damit auch alles seinen Platz hat, um in den nächsten zwei Jahren das Land wieder in die Zeiten Herbert Hoovers (republ. Präsident 1929-33) zurückzukatapultieren. Den Verlierern bleibt gerade noch Zeit, in den Dienstcomputer die Bewerbungsschreiben für einen neuen Job einzutippen. „Das ist einfach nicht fair“, stöhnt Clarice und gibt einen nicht näher definierbaren Laut gesteigerter Frustration von sich.

In diesem Moment betritt Clinton-Berater George Stephanopoulos zum abendlichen body sculpting die heiligen Hallen des Fitneß-Tempels. Die Anwesenden nehmen von Beileidsbekundungen oder aufmunternden Sprüchen Abstand und schwitzen betreten schweigend vor sich hin. Wenigstens findet Clarice ihre Sprache wieder. „Mein Gott, sieht der schlecht aus.“

Die erste politisch vernehmbare Konsequenz des republikanischen Wahlsiegs – im seismologischen Politjargon auch „Erdrutsch“ genannt – ist allerdings nicht die schlechte Stimmung in den von Demokraten frequentierten Fitneß-Studios, sondern die Forderung der Republikaner nach (Wieder-)Einführung des morgendlichen Gebets in den staatlichen Schulen.

Diesem Vorhaben stehen ein paar Hürden im Weg – unter anderem der erste Zusatz zur US- Verfassung, der die Trennung von Staat und Kirche gebietet, sowie einige Urteile des Obersten Gerichtshofes, wonach Gebete und Bibelstunden an allen möglichen Orten abgehalten werden dürfen, aber nicht im Klassenzimmer.

Die Verfechter dieser christlichen Sache stört das nicht. Die Jugend braucht ihrer Ansicht nach eine tägliche spirituelle Erneuerung, damit sie weiß, wo oben (Himmel) und unten (Hölle) ist. Denn Newt Gingrich, der neue starke Mann im Kongreß, ist der Meinung, daß „man diese Zivilisation nicht aufrecht erhalten kann, wenn 12jährige Babies bekommen, 15jährige sich gegenseitig umbringen, 17jährige an Aids sterben und 18jährige Abschlußzeugnisse bekommen, die sie nicht lesen können.“ So weit, so gut. Bis zu diesem Punkt sind sich sogar Clarice und Newt einig, obwohl es ihr fast unmöglich ist, auch nur ein Milligramm Übereinstimmung mit dem Mann zuzugeben. Besonders jetzt, wo sie gerade 40 Pfund Eisen nach oben drücken will. Es sind die Lösungsvorschläge, die meiner lieben Freundin das Gruseln beibringen. Gingrich möchte minderjährigen alleinerziehenden Müttern die Sozialhilfe streichen, ihre Kinder ins Waisenhaus stecken, die Todesstrafe ausweiten und der Jugend des Landes jeden Morgen mit einem Vaterunser auf den rechten Weg bringen. „Ich will nicht“, preßt Clarice zwischen den Zähnen hervor. „daß unsere Zivilisation von diesem Kerl gerettet wird.“

„Komm“, sage ich, „laß uns beten. Auf dem Stairmaster.“ Andrea Böhm