Authentizitätskolportage

■ „Das ist Ihr Leben“: Dieter Thomas Heck konfrontiert Stars mit ihrer eigenen Biographie (20.15 Uhr, ZDF)

Auch wenn sie das Gegenteil behaupten: sie lügen. Alle Erfahrungen sprechen dafür. Auch die sogenannten feineren Leute klatschen und tratschen, intrigieren – kurzum: sie nehmen, je besser gestellt sie sich wähnen, um so konspirativer am Leben anderer Menschen Anteil, wenn auch meist in Form der üblen Nachrede.

Besonders gern kolportieren sie Geschichten über Prominente, allein: nie erfahren wir wirklich genug. Sind wir – selbst doch eben weniger fein – immer auf die Transmissionsriemen des Intimen, die Klatschblätter (Stern, Zeit, Bunte, Spiegel oder Praline), angewiesen. Dort allerdings wird (ein Überlebensprinzip des Genres) allzuoft das Allerprivateste, also das Authentische an sich, ausgespart. Das ZDF nimmt sich nun unser an. In einem Revival des erfolgreichen US-Formats „That's Your Life“, das in den bundesdeutschen siebziger Jahren schon einmal von Carlheinz Hollmann zu Quoten und Ehren kam, widmet sich von heute an Dieter Thomas Heck, der notorische Schreihals wider die Zwischentöne, unserem Bedürfnis nach authentischem Gefühl. Die eingeladenen Gaststars haben wenig Möglichkeiten, der Gefühligkeit zu entrinnen, werden sie von Dieter Thomas Heck doch mit etwas höchst Persönlichem, prinzipiell Emotionsgeladenem konfrontiert: mit ihrer eigenen Biographie.

Den Beginn machte heute der angeblich bekannte Rennfahrer Hans-Joachim Stuck, ein Mann, dem es nie vergönnt war, wirklich in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Abgespult wird in Anwesenheit Stucks eine dreiviertelstündige Suada an Privatestem, abgelesen aus einer Kladde, die offenbar sein Erinnerungsalbum symbolisieren soll: Lehrer, Haushälterin, Mutter, Freundin, Kollegen und anderes Volk aus dem näheren Umfeld des Autopiloten wurden ohne Stucks Wissen zu einem kurzen Wiedersehen eingeladen. Vor laufender Kamera muß Stuck sich nun gegenüber zwei Ansprüchen gleichzeitig verhalten: die Bildschirmöffentlichkeit verlangt ihm Haltung ab, will er seine Intimsphäre vor unseren neugierigen Blicken wahren, seinen Freunden gegenüber darf Stuck die (echte?) Freude aber keineswegs zügeln. Was würde seine Mutter wohl sonst von ihm denken?

Mitweinen, wo man mitweinen soll

Dieter Thomas Heck stützt den Star sensibel beim medialen Spagat. Er weint, wo er mitweinen soll, er schnulzt, wo Rührseligkeit erwartet werden darf, er schnarrt, wo es karrieremäßig zackig bergauf ging – und tremoliert, wo es besonders ergreifend wird: ein Stimmungsgeber par excellence. Gesprochen, erinnert und besonnen wird so gut wie gar nicht. Was zählt, sind die Namen, die Personen, die in Fleisch und Blut aus der Kulisse auftauchen, um beim Überraschten, also bei Stuck, eine Freude zu erzeugen, die der eines Weihnachtsfestes im März nicht nachstehen könnte.

In der zweiten Folge wartet schon das erste echte Highlight: Deutschlands erster Popstar, Cornelia Froboess, die als kleine Cornelia einst die Badehose einpackte, später als Conny die westdeutsche Jugend der Fünfziger auf den Zeitgeist des Beats vorbereitete, ehe sie mit vollem Namen zur Schauspielerin von hoher Gnade sich entwickelte. Anders als Hans-Joachim Stuck wird sie mehr vor ihren eigenen Gefühlen erstarren, als wir erhoffen durften.

So mögen wir den Klatsch, den Blick hinter die Scheinwerfer. Dieser scheinbar authentische Schlüssellochblick ist das Erfolgsprinzip der Show, wahrt er doch die Illusion, daß die Stars und Starlets doch etwas besonders Tolles sind. Viel mehr als die vielen Talk- Shows, in denen die inszenierte Lockerheit des spontanen Gesprächsverlaufs längst zur telegenen Pose erstarrt ist, läßt uns „Das ist Ihr Leben“ endlich wieder mit der Gewißheit zurück, daß unsere Neugier befriedigt wird – und bewahrt uns davor, unseren Idolen selbst begegnen zu müssen. Wären wir doch sicher nur nervös, würden stammeln und am Ende selbst unseren Wunsch nach einem Autogramm vergessen.

Insofern erledigt das ZDF mit „Das ist Ihr Leben“ eine Bürgerpflicht, für die sich selbst der Hamburger Germanistikprofessor, der im allerprivatesten Gespräch einräumt, in seiner Jugend von den „straffen Titten Connys“ geträumt zu haben, nicht schämen muß. Darf man so etwas nicht als öffentlich-rechtliche Liebe zum Kunden bezeichnen? Jan Feddersen