Warum die Iren nach Amerika gingen

■ Je weniger Nutzpflanzenarten angebaut werden, desto wichtiger die Genbanken – aber auch die sind nicht sicher

Das Erbe der Menschheit lagert im Kühlschrank. Zehntausende Sorten Nutzpflanzen haben WissenschaftlerInnen seit den zwanziger Jahren in Genbanken deponiert. So versuchen sie, die genetische Vielfalt zu konservieren, die in der Natur schon lange nicht mehr anzutreffen ist. Ohne diese Samenproben wären Hungerkatastrophen unvermeidlich.

Die Erfahrung, daß genetische Armut einer Einladung an Krankheitserreger gleichkommt, mußten die IrInnen schon im letzten Jahrhundert machen. Alle Kartoffeln im Land stammten von nur zwei Sorten ab. Die Einschleppung des Kraut- und Knollenfäulepilzes traf die gesamte Ernte: Sowohl die Kartoffeln im Boden als auch die in der Kiste färbten sich schwarz und verfaulten. In rasendem Tempo breitete sich die Krankheit aus – es gab keine Pflanzen, die sich parallel zu dem Erreger entwickelt hatten und ihm so etwas entgegensetzen konnten. Ein bis zwei Millionen Menschen starben, und noch einmal so viele emigrierten.

Seit der grünen Revolution in den siebziger Jahren ist die Tendenz zur Genarmut weltweit geworden. Bauten die InderInnen Mitte unseres Jahrhunderts noch mehrere tausend verschiedene Reissorten an, sind es heute gerade noch einmal 12. Ähnlich monokulturell sieht es auf den Weizen- und Maisfeldern in der ganzen welt aus. Viele Nahrungspflanzen sind inzwischen ganz ausgestorben. Auch wenn in den Supermärkten immer exotischere Früchte und Gemüsesorten angeboten werden: Der Speiseplan unserer sammelnden Urahnen war mit 1.500 eßbaren Pflanzenarten wesentlich abwechslungsreicher. Heute beruhen 95 Prozent unser pflanzlichen Nahrungsmittel auf 30 Arten.

Die Bäuerinnen und Bauern, die jahrtausendelang durch Auswahl das Saatgut weiterentwickelten und so den jeweiligen Verhältnissen anpaßten, sind heute fast überall zu Samenkäufern geworden. Die meisten kommerziellen Sorten sind nicht mehr fortpflanzungsfähig und müssen immer wieder aufs Neue durch Kreuzung hergestellt werden. Das lukrative Geschäft, bei dem Gewinnspannen bis zu 45 Prozent drin sind, teilen sich wenige Großkonzerne.

Die Kombination der Geschäftsfelder ist günstig: Man züchtet ein Getreide, das gegen ein bestimmtes Pestizid resistent ist und liefert dem Kunden dann beides im Paket. Gene, die eine natürliche Widerstandskraft gegen die mit der Chemie bekämpften Schädlinge verleihen, sterben hingegen aus – oder landen bestenfalls in einer Genbank.

Aber auch Genbanken sind kein sicherer Ort. Besonders in den Kühlhallen in der sogenannten Dritten Welt fällt immer mal wieder der Strom aus, so daß die Keimfähigkeit vieler Proben nachläßt. Nach den Umbrüchen in Osteuropa kümmerte sich kein Mensch um die regelmäßige Aussaat und damit Verjüngung der Samenvorräte – wertvolle Ressourcen gehen für immer verloren. „Außerdem haben die Arten im Kühlschrank keine Möglichkeit, sich an veränderte Umweltbedingungen wie zum Beispiel den sauren Regen anzupassen“, sagt Rüdiger Stegemann, Experte für biologische Vielfalt. Die genetische Erosion geht somit auch in den Samenbanken weiter.

Auch politische und wirtschaftliche Differenzen gefährden viele Vorräte. Während früher die Genbank in Addis Abeba immer ein Duplikat ihrer Proben nach Braunschweig schickte, hat sie 1985 jede Lieferung gestoppt. Äthiopische Wissenschaftler hatten herausgefunden, daß ein kanadischer Konzern eine äthiopische Gerstensorte eingekreuzt hatte, die gegen das Gelbzwergvirus resistent ist. Mit der neuen Züchtung machte die Firma gute Gewinne – das arme afrikanische Land sah hingegen dafür keinen einzigen Dollar. Die entsprechende Probe hatten die Kanadier in Deutschland bei der staatlichen Genbank in Braunschweig bekommen, die allen wissenschaftlichen und kommerziellen Züchtern kostenlos Samen zur Verfügung stellt.