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: Reine Magie

■ "Die Wetterkarte"

„Die Wetterkarte“, Montag, 19.54 Uhr, ARD

Das Ende der Kunst, von Hegel schon um 1830 vorausgesagt, ist nun eingetreten. Mit Jörg Kachelmann ist die Kunst zu ihren Wurzeln in der magisch-rituellen Naturbeschwörung zurückgekehrt. Der Schweizer Nicht-Skispringer und Diplom-Meteorologe, vom Frühstücksfernsehen in den Vorabend gerutscht, betreibt keine simple Wetter-Vorhersage. Nein. Jörg Kachelmann macht das Wetter selbst.

Früher, als ihm das noch nicht so klar war, habe er öfters „bei einem Wolkenbruch draußen gestanden und unsere richtige Voraussage physisch voll ausgekostet“. Das ist nun vorbei. Nachdem das Fernsehen lange schon die Politik und die Nachrichten als Vollfiktion fabriziert, wurde es Zeit, daß die Wetterkunde nachrückte. Der Krieg in Sarajevo tobt nur genau so lange, wie der Nachrichtensprecher die Anzahl der Toten verliest, und unser Wetter — „eines der besten Wetter der Welt“ (Kachelmann) — wettert nur so lange, wie der „Weatherman“ es heraufbeschwört.

Mit seinem magischen Einstieg in den Vorabend hat er sich sichtlich zurückgehalten. Seine einstigen sprachlichen Niederschläge („Es wupselt blumenkohlmäßig“) blieben alle im grünen Bereich, fast. Denn, so Kachelmann über das gestrige Wetter: „Es dominiert der graue Rotz“ (wohl eine politisch meteorologische Metapher).

Die Zurückhaltung hat ihren Grund. Jene wenigen Schlafmützen, die morgens um halb neun im Frühstücksfernsehen Kachelmanns surrealistischen Veitstänzen vor dem „langweiligen Satellitenfilm“ beiwohnten, haben natürlich nicht bemerkt, daß der sympathische 35jährige die Wolken mit der Schnur hinter sich herzog. Nur indirekt ließ er jetzt durchblicken, daß sich alles ändert. Nicht zufällig erleben wir gegenwärtig den „wärmsten November seit 200 Jahren“...

Solange die Göttin Shiva tanzt, existiert die Welt, und ihr Wetter hängt an Kachelmanns Lippen. Allein die Oberschlauen, die aus seinen Deutungen eine hundertprozentige Vorhersage ableiten, gehen fehl. Denn die einstige Ungewißheit der Wettervorhersage hat Kachelmann dialektisch wieder hereingeholt: Ob wir zum Regenschirm oder zur Sonnencreme greifen sollen, bleibt unklar. Was das konkrete Wetter anbelangt, so sind wir nach Kachelmanns hermeneutischen Sprachturbulenzen so schlau wie zuvor. Das ist wahre Kunst. Manfred Riepe