Vorwärts in die Pleite

■ Dänemarks sozialdemokratische Zeitungstradition steht vor dem endgültigen Aus

Sie waren einmal in allen größeren Städten des Landes vertreten: die Zeitungen der dänischen Sozialdemokraten. Seit neustem ist der Chor auf ein schwaches Stimmchen geschrumpft, nachdem Anfang November zwei der zuletzt drei roten Blätter auch noch dichtmachen mußten.

Dem Personal der Lokalzeitungen Ny Dag und Bornholmeren, die gerade auf brandneue Computertechnik umgeschult wurden, war von ihren Geldgebern über Nacht der Geldhahn zugedreht worden. Als eine Konsolidierung der Finanzen trotz aller Reformen und Sanierungskonzepte nicht in Sicht kam, war den Gewerkschaften der Zuschuß von mehr als einer Mark pro verkaufter Nummer endgültig zu teuer geworden. Eine Gnadenfrist bleibt jetzt nur noch der in Kopenhagen erscheinenden Boulevardzeitung Det fri aktuelt, mit einer Auflage von 40.000 weit abgeschlagene Nr. 3 auf dem Markt der Populärblätter in der Hauptstadt. Konzeptionell wild zwischen Bingolotto und anspruchsvollen Gesellschaftsanalysen hin- und herschwankend, sucht das Blatt seit Jahren eine feste LeserInnenschaft und hat dabei in den letzten sechs Jahren mehr als ein Drittel der Auflage verloren.

Bald nur noch ein Mitgliedsblättchen?

Im Gewerkschaftsbund LO gibt es Pläne, die Zeitung zu einem reinen Mitgliederblättchen umzubauen, falls nicht bald zumindest der Auflagenfall gestoppt werden kann. Das wäre dann das endgültige Aus für eine sozialdemokratische Stimme unter den derzeit noch vierzig dänischen Tageszeitungen, die täglich mit 1,6 Millionen an Kioske und Briefkästen kommen.

133 verschiedene Titel waren zu Beginn der 50er Jahre noch in Dänemark erschienen. Einige finanzstarke Provinzfürsten und zwei Kopenhagener Zeitungshäuser sind übriggeblieben. Obwohl LO und Sozialdemokratie in den letzten Jahren jeweils eine runde Milliarde Kronen (250 Millionen Mark) in ihre Pressepolitik butterten, ist davon auf dem Markt nicht viel zu sehen. „Wir haben es mit unglaublich viel Operationen versucht“, erklärt die Chefin der jetzt nur noch aus Det fri aktuelt bestehenden „A-presse“ die Beerdigung von zwei der letzten drei Blätter, „aber sie sind doch gestorben.“ Statt weiter am todkranken Patienten herumzudoktern, hatte sich der LO in den 80er Jahren dem neuen, vermeintlich vitalen Markt der lokalen Reklame-Radio- und -TV-Stationen zugewandt. Aber was der Aufbruch in die Medienzukunft werden sollte, ist bislang wieder kaum mehr als ein millionenschweres Verlustgeschäft. Und die letzten Printerzeugnisse blieben dabei auf der Strecke.

Aber die Krise der Verlage ist mittlerweile zu einer des gesamten Zeitungsmarktes geworden. Hielten sich vor zwanzig Jahren noch 95 Prozent aller dänischen Haushalte zumindest eine Zeitung, so sind es jetzt gerade noch 70 Prozent. Vor allem die nachwachsende Generation wendet sich vom Zeitungsmarkt ab, Tageszeitungen rangieren im Medienkonsum der Zwanzigjährigen ganz unten. Zum Teil ist dies der Konkurrenz aus den eigenen Reihen geschuldet: Jedem dänischen Haushalt werden im Schnitt zwei Reklameblätter mit teilweise umfassendem lokalredaktionellem Teil kostenlos in den Briefkasten geworfen. Alle seriösen Zeitungen mußten rapide sinkende Anzeigenerlöse hinnehmen und die Verkaufspreise in kurzer Zeit mehr als verdoppeln. Jetzt ist den Dänen das Zeitungslesen nicht mehr nur lieb, sondern vor allem zu teuer. Reinhard Wolff