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„Geld gibt es nur am Welt-Aids-Tag“

■ Veranstaltungsreihe und Ausstellung „Aids-Welten – Lebenswelten“ in Potsdam soll auch auf das Desinteresse der Öffentlichkeit aufmerksam machen

Sechs Tage lang sollte das rosarote „Riesen-Kondom“ den Obelisken am Alten Markt in Potsdam verhüllen. Doch bereits am Morgen nach der Aktion vom vergangenen Sonntag mußte der Überzieher wieder abgenommen werden. Angeblich habe eine Windböe das 15 Meter lange Segeltuch zerfetzt. Die von Benetton gesponserte Verhüllung, die im letzten Jahr schon auf der Place de la Concorde in Paris stattgefunden hatte, war besonders bei Pfarrer Dietmar Beuchel [Reimt sich gut, besonders auf „heuchel“! d säzzer] von der benachbarten St.-Nicolai-Gemeinde, auf Widerstand gestoßen.

Seinen Zweck hatte die Aktion auch so erfüllt: Die Ausstellung „Aids-Welten – Lebenswelten“, für die das skandalträchtige Stück werben wollte, ist mittlerweile in aller Munde. Zwölf KünstlerInnen aus den USA, der Schweiz und Deutschland haben die Organisatoren Uwe Fröhlich (Potsdam) und Frank Wagner (Berlin) in das Alte Rathaus eingeladen, um mit ihren Mitteln Aids ins öffentliche Bewußtsein zu rücken. Mehr als zehn Jahre nach der Entdeckung der Krankheit sei es immer noch so, daß „eigentlich niemand etwas mit Aids zu tun haben will, wenn nicht gerade ein Bluterskandal ansteht“, beklagt Wagner von der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Bis heute würden Menschen mit Aids sozial ausgegrenzt, „Themen wie Sexualität, Erotik, Krankheit, Tod und Trauer“ tabuisiert.

So beschränken sich die zwölf KünstlerInnen, darunter Nan Goldin, Hunter Reynolds, David Armstrong und Marc Brandenburg in ihren Arbeiten nicht ausschließlich auf die Darstellung von Leid, sondern versuchen, Verbindungen herzustellen zwischen Aids und alltäglichem Leben. Die Kölnerin Christa Näher beispielsweise zeigt in ihren großformatigen Fotocollagen eine heiter-ironische Hommage an Freddy Mercury, den 1991 an Aids gestorbenen Sänger der Pop-Gruppe Queen.

Der New Yorker Fotograf Stephen Barker präsentiert unter dem Titel „Night Swimming“ 15 Bilder, in denen schemenhaft ineinander verschlungene Körper von Liebenden aus dem Dunkel auftauchen. Von Tom Fecht aus Berlin stammen Hunderte von Pflastersteinen, in die Namen von an Aids gestorbenen Prominenten, aber auch von Freunden des Künstlers eingemeißelt sind. Die Arbeit wurde zum ersten Mal vor zweieinhalb Jahren auf der Kasseler „documenta“ vorgestellt.

Einer der Räume ist für die Mitglieder der Malgruppe des Café PositHIV reserviert: Sie werden bis zum Ende der Ausstellung einmal in der Woche ihre Lebenswut und Lebenslust in leuchtenden Farben zu Papier bringen und an Ort und Stelle gemeinsame Malaktionen veranstalten. Piotr Nathan, Michael Jenkins und John Lindell schließlich haben Muster für Tapeten entworfen, die in den drei Ausstellungsräumen eine Atmosphäre heraufbeschwören, die sich angenehm von dem oft arg unterkühlten Ambiente von Kunstgalerien abhebt.

Trotzdem – oder gerade deswegen – hat diese offiziell vom Brandenburgischen Kunstverein getragene Ausstellung etwas zutiefst Beklemmendes. Denn sie macht deutlich, wie hilflos und desinteressiert der Staat mit dem stillen Massensterben umgeht. „Geld für Aktionen gegen Aids gibt es nur am Welt-Aids-Tag“, konstatiert Wagner. Ansonsten werden die Betroffenen mit ihrem Leiden allein gelassen. Die Pflege der Kranken wäre ohne die aufopfernde Arbeit von ehrenamtlichen Helfern längst zusammengebrochen. Die Forschung nach den Ursachen von Aids stagniert, bekannte Ärzte scheinen lieber darüber zu streiten, wer den Virus als erster entdeckt hat, als nach wirksamen Heilmitteln zu suchen.

Die Kunstausstellung ist nicht die einzige Aktivität zum Thema Aids im Alten Rathaus. Parallel finden dort eine ganze Reihe von begleitenden Veranstaltungen statt, unter anderem Workshops, Lesungen, Theater- und Filmvorführungen.

Vom 8. bis zum 11. Dezember steht das „1. Internationale Bi-Sexy-Filmfest“ auf dem Programm, bei dem neben Klassikern wie Truffauts „Jules und Jim“ Fassbinders „Querelle“ oder „Zwei Freundinnen“ von Claude Chabrol, Werke jüngerer, unbekannter RegisseurInnen aus Europa und den Vereinigten Staaten präsentiert werden. Und: „Aids- Welten – Lebenswelten“ soll wandern. Geplant ist, die Schau auch in anderen deutschen Städten zu zeigen. Nur ist noch nicht klar, wo – die Verhandlungen laufen noch. Ulrich Clewing

Altes Rathaus Potsdam, am Alten Markt, bis 8.1., täglich 10–18 Uhr.

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