Strukturierter tanzen

■ Plattenauflegerinnen in Berlin: Tama Sumo, eine Theaterwissenschaftlerin mit Hang zur House-Musik

Tama Sumo höre und sehe ich zum ersten Mal ganz zufällig im Drama (Golden Lounge) und bin begeistert. Wenige Tage später legt sie im Café Moskau auf, aber zuvor treffen wir uns bei freundlichem Sonnenschein in einem Gartenlokal zum Nachmittagskaffee.

Tama Sumo, bürgerlich Kerstin, ist ein schwer zu bremsendes Energiebündel, und als sie erzählt, daß sie erst seit November 93 auflegt, kommt mir auch das nicht weiter merkwürdig vor. Nein, auflegen sei eigentlich nicht ihr Leben, eigentlich hat sie noch einen Radiojob und ein Soziologie-, Germanistik- und Theaterwissenschaften-Studium. Weil sie aber zur Zeit vom Auflegen lebt und nach der Nachtarbeit im Traum nicht daran denken kann, zur Uni zu gehn, ist das DJeuse-Sein vielleicht doch eine Art Hauptberuf.

Angefangen hat alles in Nürnberg, dort hat sie überhaupt zum ersten Mal die Lust am Plattenhören und -kaufen entdeckt. Kreuz und quer am Anfang, dann strukturierter und jetzt eben House. Damals ist sie auf eine der ersten Acid-House-Veranstaltungen gegangen, wo sie es voller Erstaunen über die Musik den Tanzenden gleichtat. Irgendwann hat ein Freund, selbst DJ, sie an die Öffentlichkeit gezerrt, als DJeuse hat sie sich deswegen noch lange nicht begriffen. „Mir war das nie so klar. Schon die Frage nach dem Plattenspieler war sehr fremd. Mir kam gar nicht in den Sinn, daß man in einen Plattenspieler Geld investieren muß, da gibt es doch viel Nützlicheres.“ Besagter Freund hat ihr dann einen Plattenspieler plus Mixer geschenkt, da war der Anfang der Tama Sumo schon gemacht. Zum Namen kam sie durch Ru Paul, als der mit seinem ,She's a Top Model, she's a super Model‘ in den Charts war, suchte Kerstin nach einem aussagestarken Namen – und aus der Mischung von fränkischem Madel und englischem Model wurde „Top MAdel Super MAdel“, eben Tama Sumo.

Als Kerstin nach Berlin kam, galt ihre große Liebe immer noch Deep House im Chicagostil, und entsprechend oft war sie im 90 Grad zu Gast, einem der Orte, an denen sie jetzt auch auflegt. Sie begreift sich nicht als Kleinstnischenexpertin, allerdings sieht sie sich auch nicht als Partieauflegerin, die spielt, was alle vor zehn Jahren schon toll fanden und jetzt wieder und wieder hören wollen. Überhaupt hält Tama Sumo nicht sehr viel von Anstrengungen, verschiedene Szenen in einem Club zusammen zu bringen. Warum der Heavy-Metal-Typ mit dem Techno-Fritzen zusammentreffen soll, ist ihr ein Rätsel. Bei der Frage nach der Situation von Frauen im DJ-Geschäft, unterscheidet sie zwischen der grundsätzlichen Situation und ihrer speziellen. „Es ist auch hier, wie im Film, beim Theater, Malerei ... das gleiche. Da sitzen, zum Beispiel bei Theaterwissenschaften 80 Prozent Frauen, und dann sieh dir mal an, wer auf der Bühne steht, wer die Theater leitet, wer die Kritiken schreibt ... so ist das auch in der Musik und beim DJ-Sein. Das fängt doch einfach damit an, daß ein Junge sich problemlos schon ganz früh eine Stereoanlage wünschen kann und die auch bekommt.“ Hier in Berlin sieht sie die geringe Anzahl der weiblichen DJs weniger durch die frauenfeindliche Clubstruktur bedingt. In ihrem Frauenbild haben mehr die starken Frauen als die ewig unterdrückten Opfer Platz, und sie ist genervt von der Wehleidigkeit, die sie in einer abgeschlossenen Frauenszene zu erkennen meint. Woran es ihrer Meinung nach fehlt, ist das Sichtrauen, Rausgehen was zu fordern und was zu machen. In der Clubszene selbst scheint sie bedeutend weniger Probleme in Schwulen-Clubs zu haben als in Frauen- und Lesbenläden.

Dazu erzählt sie die Geschichte ihres ersten „Lipstick“-Besuches, bei dem sie sich über die lieblose und zusammengestückelte Musikauswahl ärgerte, und bei der Nachfrage, ob denn nicht manchmal eine DJeuse gebraucht werde, nur ein „Nein, wozu!“ zurückkam.

Der Streit zwischen den immer lebenslustigen Tanzvergnügen der Schwulen und den ewig ernsten Lesben und Frauen scheint sich in Tamas DJ-Erfahrungen manifestiert zu haben. Bleibt die Frage, wie sich das ändern läßt, denn zum vergnügten Ausgehen gehört nicht zwangsläufig ein verdrängtes Bewußtsein. Wenn all die Frauen, die sich über die Männerlastigkeit im Moskau, 90 Grad oder Drama beschweren, dort einfach öfter auftauchen würden, gäbe es, so Tama, diese notorische Männerlastigkeit erst gar nicht, und alle könnten viel Spaß haben. Am liebsten aber wäre Tama Sumo, wenn sie ihre eigenen, privaten Vorlieben endlich dazumischen könnte: Musik auflegen fürs Theater zum Beispiel. Annette Weber