Blaue Bände: Auferstanden aus Containern

■ Bücherland DDR: Die meisten landeten auf dem Müll, die guten Stücke unterm Ladentisch

Als die Mainzer Straße in Friedrichshain noch besetzt war, galt das Antiquariat Max Hölz in der Nummer 4 als gute Adresse in Sachen DDR-Literatur. Hier gab es bis zur Räumung der Lager durch die Polizei fast alles, was das (West-)Herz begehrte: vom Liederbuch Erich Weinerts bis zu den Originalausgaben der Lieblingsschreiber, die sich im eigenen Bücherregal weitaus besser machten als die Lizenzausgaben aus dem Westen. Für den Betreiber, Lars Fischer, war das Antiquariat im übrigen ein honoriges Geschäft: Anders als beim Ausverkauf der DDR machte man sich beim Verkauf ihrer Bücher die Hände nur schmutzig, wenn man allzulange in den Containern herumwühlte.

Der Hauptbestand des Antiquariats Max Hölz stammte nämlich aus aufgelösten Bibliotheken, deren Bestände entweder noch verramscht oder gespendet wurden oder gleich auf der Müllhalde landeten. Die Jahre 1990 und 1991 waren für die Bücher des Leselandes DDR „bewegte“ Jahre. Unter Buchhändlern wird gerne die Anekdote von einem Pfarrer erzählt, der in dieser Zeit LKW-Fuhren voller Bücher abholte und sie in seinem Heimatort zum Wohl der Kirchengemeinde feilbot. In Leipzig warteten die Leseratten gar an den Containern, von denen man wußte, daß dort die Restbestände der Leipziger Kommissions- und Großbuchhändler (LKG), dem Hauptgrossisten der DDR, endgelagert wurden. In Berlin galt vor allem das Lager der Ostberliner Buchhandlungen in der Lichtenberger Rungestraße als Schnäppchenmarkt – auch für die vielen neuen Ostantiquariate. Dort wurden Restbestände der DDR-Verlage zum Rabatt von 50 bis 70 Prozent verkauft. Aber auch die Verlage wie Aufbau oder der Verlag der Nation räumten ihre Lager.

Müllcontainer voller Bücher, für manche eine schreckliche Vorstellung, für andere eine schlichte Notwendigkeit. „Die teilweise viel zu hohen Auflagen oder auch die Mehrfachbestände in den Bibliotheken“, meint ein Antiquar, seien schlicht nicht zu verkaufen gewesen. Dazu kommt, daß jene Bücher, die sich in den Bibliotheken staatlicher Institutionen befanden, ohnehin Ladenhüter waren.

Wie zum Beispiel beim Buch und Musik Service, dem ehemaligen NVA-Buchladen in der Linienstraße. Zwischen den hellbraun beschichteten Regalen und unter grellem Neonlicht, findet man hier längst schon totgeglaubtes wieder: „Die Theorie des Militärfahrzeugs“ oder „Waffen der Nationalen Volksarmee“, alte Stadtpläne mit den weißen Westflecken, dazu Reiseführer über Korea und das Donaudelta sowie Unmengen an Literatur von drittklassigen Schriftstellern. Jene Bücher, die die Leser und Leserinnen des Leselandes bewegten, findet man im Schnäppchen-Container mit dem HO-Ambiente freilich ebensowenig wie die ohnehin schon immer schwer erhältlichen Ausgaben der blauen Bände.

Anders bei der Buchauslieferung Grimmstraße in Tempelhof. Dort werden heute die MEW (Marx-Engels-Werke) ausgeliefert. Auferstanden aus Containern, vollständig und – so Geschäftsführer Lindemann – vom Umsatz her „durchaus zufriedenstellend“. Zwar sei der Umsatz der blauen Bände kurz nach der Wende gegen null gegangen. Seit einem Jahr aber, freut sich Lindemann, „zieht das Geschäft wieder an“. Ursache sei vor allem aus dem Bereich der Universitäten ein wachsendes Interesse an Theorie und Weltanschauung. Uwe Rada