„Stöberer gibt es kaum mehr“

Antiquariate in Berlin: Die Sammler bleiben treu, aber der Trend geht wie überall zum Sachbuch / Antiquare im Osten optimistischer als im Westteil  ■ Von Uwe Rada

Auf den ersten Blick hat sich nichts verändert. Draußen auf den Tapetentischen warten die Umzugskartons mit den Taschenbüchen, hinter der Tür bollert der Allesbrenner gegen den Rhythmus von Vivaldis Jahreszeiten. Auch die Regale sind angeordnet wie eh und je. Die schöne Literatur im Eingangsbereich, die geistige dahinter und irgendwo dazwischen die unvermeidliche Abteilung mit Regionalia und Berolinica. Doch wer an einem naßkalten Dezembernachmittag in der Schöneberger Winterfeldtstraße sich in eines der fünf Antiquariate verkriecht, kann im Gegensatz zu den naheglegenen Boutiquen sichergehen, keinem allzudichten Gedränge ausgesetzt zu sein.

„Die Krise des Buches“, meint Monika Ihring, Antiquarin in der Winterfeldtstraße 56, „macht auch vor den Antiquariaten nicht halt.“ Zwar habe es kurz nach der Wende einen Zustrom „von drüben“ gegeben und damit ein großes Interesse an Geisteswissenschaften, Psychologie, Geschichte und allem was man in der DDR kaum bekommen konnte. Doch dieser Andrang gehört heute ebenso der Vergangenheit an, wie derjenige Antiquariatsgänger, der mit Zeit und etwas Geld ausgestattet, halbe Nachmittage in den verstaubten Winkelgängen der Buchmuseen verbringt. „Die Stöberer und Schmökerer“, sagt Monika Ihring, „gibt es eigentlich kaum mehr, das breite Interesse fehlt, die Universalisten sind am Aussterben“.

Seit rund zwanzig Jahren gibt es die Antiquariate am Winterfeldtplatz. Mit der Studentenbewegung, meint Monika Ihring, habe das freilich nichts zu tun, eher mit den billigen Mieten damals in Schöneberg, die neben den Buchhändlern auch Trödler und andere Antiquitätenhändler angelockt hätten. Heute stört weniger die Konkurrenz, sondern die Miete, die nicht selten auf 50 Mark je Quadratmeter klettert. Doch das ist nur die eine Seite der Krise. Die andere betrifft das Lesen selbst. Nicht mehr der fremden und verborgenen Welten wegen wird in Büchern geblättert, sondern mehr und mehr um des beruflichen Fortkommens willen. Das Buch hat seine Aura eingebüßt, ist Gebrauchsgegenstand. „Der Trend geht auch in den Antiquariaten zum Sachbuch, zur Spezialliteratur“, sagt Monika Ihring und weiß sich mit ihren Kollegen einig.

Geblieben sind die „hartgesottenen“ Sammler, wie sie im Antiquariat Jescke genannt werden, sowie deren Vorlieben: Technische Bücher, alte Werke über Seefahrt, Geographie, Landeskunde, darunter vor allem die ehemaligen Ostgebiete. Und geblieben sind die Kunden aus Westdeutschland, nicht selten auch Antiquare. „Die kommen hierher“, berichten die Buchhändler aus der Winterfeldtstraße, „und kaufen hier die Bücher, die sie dann bei sich zu Hause in die Kataloge nehmen und für teures Geld verkaufen.“

Szenenwechsel. Ostberlin, Neue Schönhauser Straße im Scheunenviertel. Seit der Wende betreibt dort Oliver Seifert einen Buchladen samt Antiquariat. Auch in den „Altberliner Bücherstuben“ gibt es Publikum aus dem andern Teil der Stadt fast nur noch, wenn die Aufkäufer unterwegs sind. Sind die Antiquariate in Westberlin billiger als die in Westdeutschland, sind die in Ostberlin am billigsten. Anders als im Westen gibt es bei Oliver Seifert aber auch viele Kunden, die einfach nur schmökern und manchmal sogar kaufen. An die Krise des Buches will er deshalb nicht so recht glauben. „Vor der Wende“, sagt Seifert, „hat es in Ostberlin vier Antiquariate gegeben, heute sind es zehnmal soviel, und noch keines mußte schließen.“ Wenn es eine Krise gebe, dann vor allem eine der hohen Preise für neue Bücher, über die sich viele Kunden auch heute noch beschwerten.

Aber auch Seifert räumt ein, daß neben dem Geld vor allem die Zeit fehlt für die Lektüre. Die meisten Bibliotheksauflösungen, die er nach Ladenschluß übernimmt, haben weniger mit Todesfällen zu tun als mit Umzügen: „Viele DDR-Bürger hatten in ihrer Wohnungen ein Zimmer übrig und es mit Büchern vollgestellt.“ Das war einmal. Heute muß nicht nur die Wohnung gegen eine kleinere getauscht, sondern oft auch die Bibliothek zu Geld gemacht werden. Als „Fledderer“ kommt sich Seifert dabei, wie seine Kollegen im Westen, nicht vor. „Einige, die ihre Bücher verkaufen, schämen sich zwar“, sagt er, „aber andere Dinge sind einfach wichtiger geworden.“