Öko-Hauptstadt 1994

■ Eckernförde ist Sieger / Bewohner etwas desorientiert

„Hundekot und Kippen den Garaus machen“, so titelten die Eckernförder Nachrichten am 23. November. Mit Hundetüten-Spendern und Sandbehältern will die Kurverwaltung der Stadt Eckernförde besonders am Strand dem Unrat von Zwei- und Vierbeinern zu Leibe rücken – für den Geschäftsführer der für den Tourismus zuständigen Kurverwaltung, Werner Pötzsch, nur eine weitere kleine Maßnahme, um den Titel „Bundeshauptstadt für Natur- und Umweltschutz 1994“ auch im nächsten Jahr zu verteidigen. Den hat die kleine Stadt an der Ostsee nämlich von der Deutschen Umwelthilfe im November verliehen bekommen.

Die Umweltvereinigung führte den Kommunalwettbewerb bereits zum fünftenmal in Kooperation mit anderen Umweltverbänden durch. Mit 151 von 194 möglichen Punkten verwies Eckernförde den Sieger von 1992, Freiburg, auf Platz zwei.

Eckernförde bekam den Titel vor allem für seine Maßnahmen bei der Umweltplanung, dem Naturschutz, den Gewässern und beim Verkehr. So wird meist nur noch auf landschaftsökologisch ärmeren Gebieten gebaut. Supermarkt und Tankstelle findet man am Stadtrand, integriert in eine sanfte Hügellandschaft.

Ein kostengünstiges Beispiel für Naturschutz ist der „Lachsenbach“, der laut Michael Packschies, dem Umweltbeauftragten der Stadt, „zum Kultprojekt avancierte“. Daß Packschies aus der Ökobewegung kommt, kann der Vollbartträger in Birkenstockschuhen und Schafwollpullover kaum verbergen. Der Umweltbeauftragte war auch am „Kultprojekt“ nicht ganz unbeteiligt. Für die Einstauung einer durch eine Rohrleitung entwässerten Senke fand er eine ebenso kostengünstige wie effektive Methode: Statt umfangreiche Tiefbauarbeiten zu vergeben, beschaffte sich Packschies im Baumarkt einen Mörteleimer für 5,95Mark. Damit wurde das Rohr verstopft, und schon bald bildete sich der zwei Hektar große See. Ein Informationsblatt preist den „Oberen Eimersee“ heute als „Attraktion für zahlreiche Amphibien- und Wasservogelarten“.

Auch auf dem Energiesektor gab es Erfolge: So wurde in den städtischen Gebäuden der Stromverbrauch um ein Drittel gesenkt. Des weiteren sollen auch die Bürger zu Sparmaßnahmen angehalten werden. Dazu wird bis Dezember 1996 in 1.000 Haushalten eine „Stromwert-Ampel“ getestet, die den aktuellen Strompreis mittels grüner, gelber und roter Lämpchen anzeigt. Denn in Eckernförde zahlen die Verbraucher keine Festpreise, sondern gemäß dem marktwirtschaftlichen Prinzip steigt mit dem Verbrauch auch der Preis. Die Nutzer können selbst entscheiden, ob sie ihre Waschmaschine in der Mittagszeit anstellen, wenn die Nachfrage nach Strom gemäß dem „Eckernförder Tarif“ besonders hoch und der Waschvorgang teuer ist, oder lieber zu preiswerteren Tageszeiten. Stromwertimpulse sorgen für die Kommunikation zwischen Stadtwerken und heimischer Steckdose.

Von selbst versteht sich, daß Mehrweggeschirr bei öffentlichen Veranstaltungen selbstverständlich ist und Parkscheinautomaten in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt solarbetrieben sind.

Das Erfolgsrezept der Stadt ist der Dialog zwischen den Umweltverbänden und den Vertretern der Wirtschaft. Eckernförde kann sich glücklich schätzen, keine umweltintensive Industrie in seiner näheren Umgebung zu haben. Neben dem großen Arbeitgeber Bundeswehr gibt es vor allem gewerbliche Betriebe: die Hersteller von Sportwaffen, Ventilatorenrädern und „Küstennebel“, einem Korn, gehören noch zu den Firmen mit den größten Umsätzen. Auch die „Kieler Sprotte“ wird nicht in der Landeshauptstadt, sondern in Eckernförde eingedost.

Probleme gab es allerdings in der Innenstadt. „Erst haben die Geschäftsleute über das Pkw-Verbot in der City gewettert“, weiß Michael Packschies, „doch mittlerweile sind deren Umsätze sogar noch gestiegen.“

Neben dem Gewerbe ist der Tourismus das zweite wirtschaftliche Standbein der 22.825 EckernförderInnen. Auf 120.000 bis 140.000 pro Jahr schätzt Werner Pötzsch – nicht nur Geschäftsführer der Kurverwaltung sondern auch der Stadtwerke – die Zahl der Übernachtungen. Daß die Stadt Eckernförde ihren Titel auch vermarkten will, kann man ihr nicht verübeln. Und damit ist man ganz schön schnell: Nur zwei Wochen nach der Preisverleihung liegt das aktuelle Verzeichnis der Unterkünfte vor – altpapierhaltig und chlorfrei. Auf den letzten beiden Seiten finden die Leser zahlreiche Hinweise und Bilder, warum gerade ihr Feriendomizil zur Öko- Hauptstadt avancierte. Pötzsch verweist außerdem auf die 350 Kilometer an ausgeschilderten Radwegen und die 135 Kilometer Wanderwege. „Natur läßt sich bei uns anfassen und erleben“ lautet der Werbeslogan der Stadt. Zu den neuesten Attraktionen für Touristen gehört Sporttauchen in der Eckernförder Bucht. „Von der Seenadel bis zur Seeanemone lassen sich zahlreiche Meereslebewesen finden“, berichtet Pötzsch, „aber natürlich auch Mülltüten.“

Für den Umweltbeauftragten Packschies ist der Preis jedenfalls eine „unheimliche Bestätigung für das Geleistete“. Und das verpflichtet. So wünscht sich der Chefökologe von Eckernförde weitere Flächenankäufe für Biotope. Auch im Bereich ökologisches Bauen hat Eckernförde noch Defizite.

Auch wenn dem Umweltbeauftragten und dem Kurverwalter der Stolz auf das in Sachen Umwelt Geleistete aus den Augen spricht – dem Eckernförder Bürgertum fehlt vermutlich etwas der Blick fürs ökologische Detail. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage auf dem Marktplatz wußten zwar alle von der Titelverleihung an ihre Stadt, allerdings konnte kaum jemand sagen, warum ausgerechnet Eckernförde zur Umwelthauptstadt gekürt wurde. Am schnellstens fiel den Befragten noch der Terminus „Sauberkeit“ ein.

Aber vielleicht haben sich die Bürger von Eckernförde längst an ihren ökologischen „High-Standard“ gewöhnt. Dem niederländische Ehepaar, das eine Nacht auf dem 1991 als beispielhaft gefeierten innerstädtischen Caravan- Stellplatz verbrachte, waren Stromanschluß und Schmutzwasserentsorgung jedenfalls ein Dankschreiben an die Kurverwaltung wert. Olaf Lüttke