Zurück zu Henry Ford

Bei Opel in Rüsselsheim sind die größten Umstrukturierungsmaßnahmen in der 130jährigen Werksgeschichte angelaufen  ■ Aus Rüsselsheim Klaus-Peter Klingelschmitt

Von Japan lernen heißt siegen lernen! So lautete noch vor wenigen Jahren die Parole bei der Adam Opel AG im hessischen Rüsselsheim. In weißen Zelten auf dem Werksgelände verkündeten damals sendungsbewußte Schamanen der „new-production-line“ der Belegschaft frohe Botschaften: Schluß mit der stupiden Arbeit am Band – her mit der ganzheitlichen Arbeit am Produkt. Weg mit den hierarchischen Strukturen — her mit der eigenverantwortichen Arbeit im Team. Denn zufriedene ArbeiterInnen, die sich mit ihrem Job identifizieren, so das Kredo der Prediger aus Fernost und ihrer europäischen Jünger, produzieren weniger Ausschuß und mehr Omegas und Vectras in kürzer Zeit.

Alles Schnee von gestern. Heute wird bei Opel in Rüsselsheim eine andere Parole ausgegeben: Von Eisenach lernen heißt siegen lernen! Das nach der Wende in Rekordzeit gebaute Montagewerk in Thüringen ist das Vorbild für umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen in der Produktion im Stammwerk in Rüsselsheim, der größten Fabrik des General-Motors-Konzerns. Das Ziel der Strategen der neuen Managergeneration um Werksleiter Rolf Zimmermann: mit immer weniger MitarbeiterInnen auf immer kleineren Flächen immer mehr Fahrzeuge bauen.

In Eisenach schrauben heute noch nicht einmal 500 ArbeiterInnen für Opel im Jahr mehr Autos zusammen als 5.000 WartburgerInnen am gleichen Standort zu DDR-Zeiten. In Eisenach seien die Vorstellungen des Vorstandes von effektiver „lean production“ voll umgesetzt worden. Deshalb eben sei das Eisenacher Vectra-Werk in Eisenach beispielhaft auch für das Stammwerk.

Die Arbeitsgruppen vor allem in der Endmontage sind offenbar zum Stolperstein geworden: „Debattierklubs“ seien sie. Von der „notwenigen Humanisierung der Arbeitswelt“, wie noch 1991, redet heute in der Vorstandsetage der General-Motors-Tochter kein Verantwortung tragender Mensch mehr.

Das alte Band soll wieder fröhliche Urstände feiern dürfen, denn die Ausführung verschiedener Arbeiten durch einen einzigen Opelaner und die Diskussionen mit den Kollegen in den Gruppen hätten zu „Zeitüberschreitungen und Qualitätsmängeln“ geführt. Demnächst wird in Rüsselsheim also wieder die Bandgeschwindigkeit das Arbeitsleben der in der Endmontage beschäftigten MitarbeiterInnen bestimmen. Zurück zu Henry Ford?

So ganz will man sich bei Opel noch nicht von den „demokratischen Strukturen“ verabschieden. Auch wenn die ArbeiterInnen demnächst wieder nur einzelne Handgriffe auszuführen hätten, verbleibe etwa die Arbeitsplatzgestaltung fest in den Händen von Gruppen, sagte Werksleiter Zimmermann. Einzelne ArbeiterInnen hätten nach wie vor die Möglichkeit, innerhalb des Teams den Arbeitsplatz zu wechseln. Auch der Gruppensprecher werde weiterhin vom Team selbst gewählt — aber das Management erhält jetzt ein Vetorecht.

Wo sich die Gruppenstrukturen mit flacher Hierarchie als effektiv erwiesen hätten, etwa in der Abteilung PEK (Planung, Entwurf und Kontrolle), werde das System beibehalten und sogar noch ausgebaut — hin zu selbständigen operierenden Einheiten mit eigenen Budgets. Kernstück der Produktionsumstellung in Rüsselsheim ist allerdings ein 215 Millionen Mark teueres „Fitneßprogramm“, das bis 1997 in zwei Schritten verwirklicht werden soll. Zum einen will die Adam Opel AG „unwirtschaftliche Aktivitäten“ konsequent auslagern, das heißt an Fremdfirmen vergeben.

Zum anderen sollen durch die „konsequente Optimierung der verbleibenden Kernbereiche“ die Voraussetzungen für ein „schlankes und produktives Werk“ geschaffen werden. Als Kernbereiche gelten dem Vorstand das Preßwerk, der Rohkarosseriebau und die Fahrzeugmontage. Mit dem Bau eines neuen Verwaltungstraktes und der Modernisierung der Lackiererei wird Opel das gesamte Verschlankungspaket dann rund 700 Millionen Mark kosten.

Die Umsetzung der neuen „ganzheitlichen Strategie“, so Opel Ende November, führe zu einer Verringerung der Standortfläche in Rüsselsheim von 1,2 Millionen auf rund 800.000 Quadratmeter. 1997 will Opel mit nur noch 11.000 MitarbeiterInnen in Rüsselsheim 330.000 Autos im Jahr produzieren. Zur Zeit arbeiten dort noch fast 20.000 Menschen, die per annum 300.000 Fahrzeuge herstellen.

Betriebsrat und Gewerkschaften suchen noch intern nach einem Konsens bei der Bewertung der neuen Konzepte, nach denen in einem Zeitraum von drei Jahren immerhin 8.000 Arbeitsplätze im Stammwerk abgebaut werden sollen. Für den Vorstand der Adam Opel AG jedenfalls garantiert das „tiefgreifendste Umgestaltungsprogramm in der 130jährigen Geschichte des Rüsselsheimer Stammwerkes“ das Überleben des gesamten Unternehmens: „Die Kosten senken und die Qualität steigern — das sind die Voraussetzungen dafür, im internationalen Wettbewerb der Zukunft zu bestehen und den Produktionsstandort Deutschland nachhaltig zu sichern.“