Rückfahrkarte nach Nirgendwo

Ciao, Jürgen Möllemann: Außenseiter Schultz-Tornau stößt als neuer FDP-Chef in NRW den Matador vom Podest / Kein Kinkel-Fan, aber Ärger wird er auch nicht machen  ■ Aus Castrop-Rauxel Walter Jakobs

Als der Sieger nach stundenlanger Debatte und zwei Wahlgängen endlich feststeht, da drohen ihn die Kameraleute fast zu erdrücken. Joachim Schultz-Tornau im Rampenlicht, daran muß der Mann sich erst gewöhnen. Jetzt, im Moment des Sieges über Jürgen Möllemann, scheint ihm erst so richtig aufzugehen, was da auf ihn zukommt. In die Freude über den unerwarteten Erfolg mischen sich in diesen Sekunden „beklemmende Gefühle“ und dunkle Ahnungen von „schlaflosen Nächten“ angesichts des enormen Erwartungsdrucks, der jetzt auf dem Landtagsabgeordneten lastet.

Möllemann geht es gar nicht gut nach diesem „Schlag in die Magengrube“. Alles schien so schön eingefädelt. Die „Putschisten“ vom „Kinkel-Fanklub“ um den Bonner Staatssekretär Fritz Schaumann galten im Vorfeld des Parteitages als längst geschlagen. Und dann bot Möllemann den Delegierten auch noch kurz von dem entscheidenden Parteitag am Wochenende in Castrop-Rauxel ein Bonbon an, das seine redlichen Absichten unterstreichen sollte. Im Fall seiner Wahl werde er sein Bundestagsmandat „ohne Rückfahrkarte“ niederlegen, um sich ganz dem „Schicksalswahlkampf“ für den NRW-Landtag im Mai nächsten Jahres zu widmen.

Doch es war umsonst. Auch die Schützenhilfe von Achim Rohde, dem langjährigen Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion, half nichts. Das „Tandem“ mit Möllemann, so verbreitete Rohde noch unter der Woche, „biete die Formation mit den besten Chancen“ für die Landtagswahl. Alles andere sei „nicht wirkungsvoll“.

Doch die Delegierten folgten den liberalen Strippenziehern aus den beiden, sich mit allen Mitteln befehdenden Lagern nicht. Ihr Votum für den Außenseiter deutete sich schon nach dessen „brillanter Rede“ (Möllemann) an. Vehement beschwor der Kandidat, die FDP dürfe sich niemals wieder, „wie bei der letzten Bundestagswahl“, als „nackte Funktionspartei“ präsentieren, als eine Partei, die den Leuten nur sagt, „wählt FDP, damit Helmut Kohl Bundeskanzler bleibt“. Diese Strategie habe das Ansehen der FDP „nach außen auf einen Tiefpunkt gebracht und nach innen unseren Stolz in unerträglicher Weise verletzt“. Der tosende Applaus trennte Sieger und Besiegte. Beim ersten Wahlgang wurde endgültig deutlich, daß die 400 Delegierten sich auf die „nicht wirkungsvolle“ Variante eingeschworen hatten. Schaumann scheiterte mit 93 Stimmen. 162 votierten für Schultz- Tornau, und Möllemann mußte sich mit nur 141 Stimmen zufriedengeben. Weil im zweiten Wahlgang das Schaumann-Lager geschlossen zu dem ostwestfälischen Newcomer rübermachte, war dessen Sieg mit 255 zu 139 Stimmen nur noch Formsache.

Bleich, mit versteinerter Miene, so nahm Rohde dieses Ergebnis zur Kenntnis. Sein Schweigen hielt genau bis zum Samstagabend an. Am Sonntag fand er seine Stimme wieder – auf der Seite des Siegers. Vom Vorsitzenden darum gebeten, trat Rohde, dem Neuen nun die „volle Loyalität“ versichernd, zur Wahl um Platz eins auf der Landesliste an. 227 der 393 Delegierten segneten das neue Bündnis ab. Auf Platz zwei folgt Schultz- Tornau, der jetzt „im Geist der Kameradschaft“ mit Rohde gemeinsame Sache machen will.

Mindestens bis zur Landtagswahl wird der neue westfälische Friede wohl halten. Auch das Gespenst der Abspaltung scheint gebannt. Für kurzzeitige Aufregung sorgte am Samstag eine an die 141 Journalisten verteilte Presseerklärung. Darin lud ein Armin Wiegold vom „Arnsberger Kreis“ für den Fall, „daß der neue Landesvorsitzende nicht Jürgen W. Möllemann heißen sollte“, zu einem Pressegespräch ein. Thema: Gründung eines Landesverbandes „Freie Liberale Partei“. Es sagt einiges über den Zustand der NRW- FDP aus, daß diese Ankündigung eines Scherzboldes zunächst hektische Recherchen auslöste. Möllemann weiß zwar noch nicht, „was ich künftig machen werde“, aber Parteineugründer können mit ihm nicht rechnen. Der Geschlagene sieht das ganz pragmatisch: „Austritt hilft ja auch nichts.“