„Mit Volksinitiativen antworten“

■ Der Schweizer Jurist Jörg Paul Müller zur direkten Demokratie in der Eidgenossenschaft / Sie ist seit 150 Jahren fest verankert

Jörg Paul Müller ist Professor für Staatsrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bern. Er ist ein ausgesprochener Befürworter der direkten Demokratie. Die taz sprach mit ihm beim 4. Altenativen JuristInnentag in Hannover (siehe Bericht auf dieser Seite).

taz: Bei der Schweizer Abstimmung über den Beitritt zur „Antirassismus-Konvention“ der UNO sprachen sich nur 53 Prozent der StimmbürgerInnen für den von allen großen Parteien getragenen Beitritt aus.

Jörg Paul Müller: Das ist richtig. Aber bedenken Sie auch, daß das Verbot der „Auschwitz-Lüge“ eine ganz andere Autorität hat, wenn sie vom Volk beschlossen wird.

Hat sich bei diesem und anderen Referenten nicht die Emotionalisierbarkeit von Volksentscheiden gezeigt?

Wer so fragt, hat ein eigenartig gespaltenes Menschenbild. Bei Wahlen traut man den Menschen zu, rational zu überlegen und die richtigen Leute auszuwählen, bei Sachentscheidungen soll dann aber alles ganz anders sein. Und mit der Todesstrafe brauchen Sie erst gar nicht anzufangen. Die wurde in der Schweiz 1942 per Referendum abgeschafft.

Sind die SchweizerInnen nicht langsam abstimmungsmüde?

Nein, die direkte Demokratie hat sich über einen Zeitraum von 150 Jahren immer mehr entwickelt und ist in der Schweiz tief verankert. Sie wird im Gegenteil weiter verfeinert und ausgeweitet.

Nennen Sie bitte doch bitte einige Beispiele dafür.

Regierung und Parlament haben das Recht, mit eigenen Gesetzentwürfen auf Volksinitiativen zu antworten, die ebenfalls dem Referendum unterworfen werden. Seit Beginn der neunziger Jahre besteht nun die Möglichkeit, sowohl zur Volksinitiative als auch zum Gegenmodell der Institutionen „Ja“ zu sagen. Mit einer differenzierenden Stimme muß aber ausgedrückt werden, welchem Entwurf der Vorzug gilt, falls beide Vorlagen eine Ja-Mehrheit erhalten.

Das ist aber kompliziert. In der BRD verstehen viele kaum das Wahlrecht, die Erst- und Zweitstimmen ...

Es funktioniert aber.

Vielen Dank. Interview: Christian Rath