Auf seinem Bundesparteitag in Potsdam wählte Bündnis 90/Die Grünen erwartungsgemäß mit Sager und Trittin je einen Exponenten des linken und des rechten Flügels ins Sprecheramt, die Ostverbände sind nicht mehr vertreten Von Matthias Geis

Der Osten versank in den Strömungen

Grüner Parteitag auf dem Defa- Filmgelände in Potsdam-Babelsberg. Die Halle, in der sich die 500 Delegierten am Wochenende versammelt haben, um eine neue Parteispitze zu wählen, ist nach Doktor Caligari benannt, jenem Irrenhausdirektor aus dem deutschen Filmklassiker, einem Alptraum aus Macht, Despotismus und Massenhypnose. Doch von solchen Reminiszenzen aus dem Reich der Fiktionen lassen sich Grüne nicht schrecken. Wenn schon, dann haben sie ihre eigenen Erinnerungen: Neumünster beispielsweise. Dort endete im April 91 der letzte „urgrüne“ Parteitag mit Flügelchaos und linker Abspaltung.

„Neumünster“ ist längst zum Negativmythos der jüngeren Parteigeschichte geworden. Seit dem traumatischen Erlebnis haben die beiden Strömungen der Grünen versprochen, sich nur noch so moderat zu streiten, daß die Partei keinen Schaden nimmt. „Burgfrieden“ nannte man anfangs noch etwas abschätzig, was heute als „Kurs der Integration“ von allen beschworen wird, die in der Partei etwas zu sagen haben.

Manchmal knirscht es noch ein bißchen. Beispielsweise wenn sich plötzlich, wie in Babelsberg, eine Außenseiterin, Christiane Ziller, mächtig anschickt, den strömungsausgewogenen Personalvorschlag für die neue Parteispitze durcheinanderzubringen. Das mißlingt. Doch weil die kontrollierte Integration manchmal auch ein bißchen langweilig werden kann, geraten solche kleinen Überraschungen zum Ausweis einer gelungenen Dramaturgie. Das „neue gute Betriebsklima in der Partei“, das der scheidende Parteisprecher Ludger Volmer bilanziert, kann so etwas nicht trüben. Im Gegenteil. Am Ende haben sich die Bündnisgrünen in Babelsberg mit Krista Sager und Jürgen Trittin ein „Dream Team“ an die Spitze gewählt, übertreibt ein sichtlich erleichterter Joschka Fischer. So schön kann Politik sein.

Ganz so schön auch wieder nicht. Denn die beiden Nachfolger von Marianne Birthler und Ludger Volmer personifizieren zwar die Strömungsbalance, doch beide kommen aus dem Westen. Die innerparteiliche Integration zwischen Ost und West, deren Stand Marianne Birthler in ihrer Abschiedsbilanz eher skeptisch resümierte, ist auch im neuen Führungsduo nicht repräsentiert. Läßt sich das mit einem schnellen Umzug der Parteizentrale aus Haus Wittgenstein nach Berlin kompensieren? – Wenn schon kein personelles Signal an der Spitze, dann sollte nach dem Willen des Partei- Ostens wenigstens der Sitz der Zentrale symbolisieren, wo die Bündnisgrünen in den kommenden Jahren politische Akzente setzen wollen. Sie müssen, das ist längst wieder beschworener Konsens. Doch daß ein sofortiger Umzug des grünen Apparates die geeignete Antwort auf die jüngsten Wahlniederlagen im Osten sein könnte, fanden die Delegierten nicht ganz überzeugend. Zwischen „Umzug sofort“ und „Umzug wenn nötig“ entschied sich der Parteitag in klassischer Manier: Kommission einsetzen, Konzept entwickeln. Und das Versprechen, den nächsten Bundestagswahlkampf schon von Berlin aus zu führen.

Nur mit zehn Stimmen Vorsprung konnte sich – nach diesem ostwestlichen Papierkonsens – die Hamburger Reala Krista Sager gegen die Thüringerin Christiane Ziller durchsetzen. Während Sagers Rede unter dem Druck der Favoritenrolle eher unsicher und ein wenig schrill daherkam, traf Ziller den Parteitagston. Sie kandidiert als „überzeugte Pazifistin“, wirbt mit ihren „Erfahrungen aus zwei Gesellschaften“, empfiehlt sich den Delegierten als „Vertreterin derjenigen, die die Beschlüsse fassen“.

Ähnliches würde Krista Sager wohl schwer über die Lippen gehen. Ihr schwebt „eine moderne, neue Partei mit modernem Konzept“ vor, die den „Brückenschlag zwischen dem linksalternativen Milieu und den Besserverdienenden“ hinbekommen will. Ihren Begriff der „grünen Volkspartei“ mutet sie den Delegierten diesmal nicht zu.

Letztlich scheitert Christiane Ziller an zuviel und zuwenig Unterstützung. Zu wenig Rückhalt hat die Ost-Kandidatin – im Osten. Den BürgerrechtlerInnen um Werner Schulz und Marianne Birthler ist die West-Reala lieber. Dagegen hat sich die westdominierte Parteilinke, der „Babelsberger Kreis“, für die „linke“ Ost- Kandidatin stark gemacht. Während so auf dem Parteitag Linke aus dem Westen plötzlich den Charme eines ostquotierten Führungsduos entdecken, plädiert der eingefleischte Ost-Realo Schulz für die „demokratische Entscheidung zwischen Personen“.

Der Wunschkandidat der Linken ist ohnehin ein Mann. Das weiß auch die Feministin Christiane Ziller, die gegen Jürgen Trittin erst gar nicht antritt. Trittin, so ihre Begründung, könne die Parteilinke einfach besser integrieren. Den Nachweis hierfür erbringt der Exminister aus Niedersachsen mit Bravour. Für die Bündnisgrünen, so seine Perspektive, gibt es noch immer viel zu verhindern: „den Marsch in Richtung Großmacht Deutschland“, Schäubles „Wiederentdeckung der Nation“, die „Hetze gegen Sozialhilfeempfänger“, „wachsende Politikverdrossenheit“ usw. Doch, so Trittin ein wenig unvermittelt, mit „alten Gewißheiten und Wagenburg-Mentalität“ lasse sich die „konservative Hegemonie“ nicht brechen. Auch gut: 499 Ja-, 57-Neinstimmen. Trittin, der sich als Minister im Kabinett Schröder eher als Pragmatiker einen Namen gemacht hat, empfiehlt sich den Delegierten als „Linker“. Doch auch einem „ausgemachten Realpolitiker wie Joschka“ will er das schöne Etikett nicht bestreiten.

Der hat es sich ohnehin verdient. Denn um „seine“ Kandidatin Krista Sager abzusichern, muß Fischer den Delegierten, die sich im Schnitt doch immer etwas „linker“ fühlen, als es realpolitisch opportun erscheint, schon etwas bieten. „Schwarz-Grün“ ist sein Thema, das Thema, mit dem Fischer, Volmer, Trittin und andere sich bei den Delegierten einschmeicheln. Eine „Gespensterdebatte“ nennt Fischer die schwarz- grüne Debatte. Sein Credo: Glaubwürdigkeit vor Machtbeteiligung. Als Partner für die Grünen gibt es „nach Lage der Dinge nur die Sozialdemokraten oder die Opposition“. Kein Drittes. Wer's nicht glaubt, dem droht Fischer mit dem „deutschnationalen Stahlhelmflügel“ der hessischen CDU. Volmer erinnert an „Frauenfeinde“, „Militärfreunde“ und „integrierte Republikaner“ in den Reihen der Union. Man muß das doch, rät Fischer, „nur einmal durchanalysieren“. Voilà.

Anti-Schwarz-Grün sorgte in Babelsberg für die kleinen emotionalen Höhepunkte. Doch nach der Wahl des neuen Vorstands freut man sich nicht mehr am Gegner, sondern an der inneren Harmonie. Auch das hat bei den Bündnisgrünen mittlerweile Tradition: Alles austariert. Und den Osten nicht vergessen!