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■ "The Stream", ein Kurzfilm über Sarajevo als griechische Tragödie, in Cinemascope - weil 90 Prozent der Bilder, die für Nachrichten zusammengeschnitten werden, "Trash sind". Gespräch mit Regisseur Garry Lane und..

Im Sommer 1993 sendete die BBC das inzwischen berühmt gewordene Interview mit einem bosnischen Flüchtling, der erzählte, wie die Tschetniks in sein Haus eingebrochen waren. Sie gaben seiner Frau fünf Minuten, mit den drei Kindern und seiner Mutter zu verschwinden. Auf der Flucht in die Berge mußte seine Frau ihre Schwiegermutter, die nicht mehr laufen konnte, tragen. Aber bald konnten auch die Kinder nicht mehr laufen, es gab nichts zu essen, ständiger Kugelhagel in der Nähe – irgendwann trafen sie auf einen Fluß, und die Frau, vor die Entscheidung gestellt, entweder ihre Kinder oder ihre Schwiegermutter zu retten, ertränkte die alte Frau.

Aus dieser Geschichte hat der australische Regisseur Garry Lane seinen Kurzfilm „The Stream“ gedreht, der jetzt in Cork/Irland den Preis für den „Besten europäischen Kurzfilm“ gewonnen hat. „The Stream“ unterscheidet sich von anderen Filmen zum Krieg in Bosnien durch seinen Schwebezustand zwischen dokumentarischem und fiktionalem Gestus und durch seine absolute Insistenz auf die Macht des Kinematographischen: Gedreht wurde in zwei Wochen in den Wäldern bei Potsdam, in Cinemascope (!), Schwarzweiß und in fast völliger Stummheit – wenn man einmal vom Kugelhagel, dem Knacken der Äste und dem keuchenden Atem der Gehetzten absieht. Das Scope- Format, gepaart mit der Kürze des Films, den vielen Schnitten und dem Einsatz von Handkameras, verleiht dem Film eine seltsame, alptraumhafte Eleganz, die das Geschehen aus Bosnien weg in die Antike katapultiert. Die taz sprach mit dem Regisseur Garry Lane und seinem Produzenten John Keogh.

taz: Ihr wirkt im Vergleich zu Leuten wie Bernard-Henry Lévy seltsam unaufgeregt im Umgang mit einem Bosnien-Film; ist die Idee dazu einfach so angefallen, mit den Radionachrichten?

Lane: Ja, ich hatte gerade einen Kurzfilm gedreht, hatte wie immer Ende des Jahres keine Arbeit und hörte dann eben diese Geschichte auf BBC. Ich rief meinen alten Freund John an und sagte, wie findest du das: The Bosnian War Protest Film Project präsentiert „The Stream“? (lacht und lüpft kurz seinen Borsalino)

Keogh: Es ist aber keineswegs so, daß wir einfach nur gesagt haben: Cool, jetzt machen wir einen Bosnien-Film. Wir sind beide Cutter – wie überhaupt die meisten Leute, die an „The Stream“ beteiligt waren, in irgendeiner Weise professionell mit Fernsehen zu tun haben. Ich habe Nachrichten geschnitten; ich weiß, 90 Prozent von dem, was man da sieht, ist totaler Trash, immer dieser Vier-Sekunden-Schnitt. „The Stream“ ist ein Versuch, ein wirklich anderes Medium, das Kino, dagegen zu behaupten. Die Sache mit der Eleganz hat vielleicht auch damit zu tun, daß wir den Berliner Filmförderungsdschungel komplett links liegenlassen haben. Wir haben mit 300 Mark den ersten Drehtag bestritten, dann kamen Sponsoren wie „Straßenbahn-Kneipen-Kollektiv“, „Schwarz-rote Reifen Taxi-Kollektiv“ , „Chanal 4“ oder die Literatur-WERKstatt Pankow dazu. Kameras und so weiter haben wir uns direkt bei den Firmen geliehen; Agfa, Kodak oder Arri München haben uns in der Regel völlig umsonst unterstützt, ganz abgelehnt hat keiner. „Ärzte gegen Atomkrieg“ gaben den Startschuß. Mit 1.500 Mark von denen konnte es dann losgehen. Auch die Schauspieler (die Kinder kommen aus einer kroatischen Flüchtlingsfamilie) mußten die Zähne zusammenbeißen; ohne ein ungeheures Engagement hätte man vor allem die eisige Kälte im brandenburgischen Wald nicht ausgehalten; Geld gab es für sie natürlich auch keins.

Ihr mißtraut offensichtlich beiden Genres: dem Spielfilm genauso wie dem Dokumentarfilm...

Keogh: Wir wollten auf keinen Fall einen Kampagnenfilm machen, auch wenn wir das Geld jetzt einem Projekt in Bosnien spenden. Es geht um Attitüde, es geht um die Rezeption der Bilder, die täglich aus Bosnien kommen und die so gut sind wie nie zuvor, die mit dem kleinen Logo in der rechten Bildschirmecke, auf dem „live“ steht. Die normale Reaktion auf solche Bilder: das sense – perception – action ist total zerstört, umgekehrt: Je mehr man sieht, desto weniger unternimmt man. Wir wollten nicht nach Sarajevo gehen und noch einen Super-8-Film im Schützengraben drehen, sondern von hier aus und mit unseren Begabungen etwas machen. Deswegen Kino: So eine Art Kurzfilm gräbt sich anders ein, weil man ungepanzerter im Kino sitzt.

Das Breitwandformat plus die Kamerafahrt am Fluß entlang verknüpfen ja diesen Total-Kino-Effekt mit dem Leitmotiv von der Reise ins Herz der Finsternis. Ich mußte stellenweise an die Sumpffahrt in „Down by Law“ denken.

Keogh: Wir nicht. Ich orientiere mich ästhetisch eher am osteuropäischen Kino, an Kieslowski, Tarkowski...

Entsprechend viele religiöse Konnotationen hat das Motiv von der Frau, die durch einen Dornwald geht, ja auch.

Keogh: (lacht) Natürlich muß man auch an eine Taufe denken, was!

Warum habt ihr darauf verzichtet, die Familie genauer zu lokalisieren? Man erfährt nicht, wo sie herkommen, ob sie Kroaten, Muslime oder Serben sind...

Lane: Wir wollten in der Tat nicht Bevölkerungsgruppe 1, 2, 3 zu Wort kommen lassen. Es könnte jeder Krieg sein, es könnte Rußland sein oder auch Deutschland in zehn Jahren, Sachsen gegen Preußen. Es ist, als säße man im vierzigsten Stock und feierte eine Geburtstagsparty, während die ersten zwei Stockwerke schon brennen.

Keogh: Die Leute in Sarajevo haben noch, als die Panzer schon um die Stadt herumstanden, gedacht: So was kann bei uns nicht passieren. Wie kommt man da drauf? Ich bin Ire, ich weiß, wie schnell so was geht.

Aber wenn ihr die Sache ins Ewigmenschliche katapultiert, lehnt man sich doch erst recht achselzuckend zurück...

Lane: Die Erzählung ist eine ganz klassische, das hat was von einer griechischen Tragödie, man denkt an den Untergang von Troja, als Aineas seinen Vater auf den Schultern tragen mußte. Bei Aristoteles in den „Poetika“ ist auch von dem tragischen Helden die Rede, der diejenigen töten muß, die er liebt. Aber dieses Allgemeine holt es doch gerade näher an dich heran: Wen würde ich aufgeben? Es ist ein Euro-Krieg. Das Gespräch führte

Mariam Niroumand

Der Film wird vom 9. bis 11. Dezember im Berliner Regenbogenkino und im Januar im Babylon- Mitte gezeigt. Wer ihn ausleihen möchte: Produzent Gunter Hanfgarn: 030-283 33 96.