Sind enge Stretchhosen normal?

■ Prozeß wegen Menschenhandels und erzwungener Prostitution Von Katrin Wienefeld

Die Hauptbelastungszeugin war nicht erschienen. Inga C. sollte gestern vor dem Amtsgericht aussagen in einem Prozeß um schweren Menschenhandel. Eine gerichtliche Ladung war nach Polen geschickt worden. Vielleicht kam Inga C. aus Unwissenheit nicht, vielleicht aber auch, weil sie glaubt, sie müsse sich rechtfertigen in einer fremden Sprache. Darüber zum Beispiel, ob enge Stretchhosen normale Ausgehbekleidung sind oder nicht.

Am 16. Februar war Inga C. in Hamburg zur Polizei gegangen, verletzt, mit blauen Flecken. Sie gab zu Protokoll, der Pole Jan M. habe sie in ihrer Heimat angeworben, nach Hamburg gebracht, zu sexuellen Handlungen gezwungen und schließlich für 3000 Mark „verkauft“. M. hätte ihr in Polen versprochen, er könne ihr einen Job als Küchenhilfe oder Putzfrau beschaffen. Aus wirtschaftlicher Not hatte sie eingewilligt.

Zusammen mit zwei weiteren jungen Frauen sei sie Ende Januar in M.s weinrotem Scorpio losgefahren. In Hamburg habe M. sie geradewegs in ein Bordell in St. Georg gebracht. Den Besitzer, einen „Herrn Mike“, habe er als guten Bekannten ausgegeben. Sie sei gefragt worden, ob sie als Prostituierte arbeiten wolle. Sie habe abgelehnt. Nach einer Irrfahrt durch Clubs und Hotels in Hamburg habe M. sie für 3000 Mark an „Herrn Mike verkauft“.

Ihre Ortsangaben seien zum Teil recht ungenau gewesen, sagte der geladene Kripobeamte aus. Inga C. schien verwirrt durch das viele Hin- und Hergefahre zwischen Wohnungen und Hotels, und sie sei mit engen Hosen bekleidet gewesen.

Der Angeklagte, Jan M., gibt an, Inga C. und zwei Freundinnen für 200 Mark nach Hamburg gefahren zu haben. Sie hätten dort arbeiten wollen. In Hamburg habe er sie sofort in das Bordell und danach in eine kleine Pension fahren müssen. Inga C. sei in der folgenden Woche jeden Abend in der besagten Kleidung, mal auch in engen kurzen Röcken und luschigen Blusen, weggegangen und erst in den frühen Morgenstunden wiedergekommen. Die beiden Freundinnen habe Inga C. mit in den Club nehmen wollen. Er habe den beiden, die er zuvor nicht kannte, aber davon abgeraten. Es seien so nette junge Mädchen gewesen, „die waren zu schade“. Zwei Tage später sei er zurück nach Polen gefahren.

M. widersprach damit der ersten Aussage bei seiner Festnahme am 21. Februar. Damals hatte er angegeben, Inga C. zufällig auf dem Hamburger Hauptbahnhof getroffen zu haben. Er habe dies doch nur gesagt, weil er keine Personenbeförderungserlaubnis besitze.

Der Prozeß wurde vorläufig ausgesetzt, um Inga C. ausfindig zu machen.