Rotarmist wird vom Sockel geholt

■ Sowjetisches Ehrenmal im Tiergarten wird wegen Einsturzgefahr an die Straße gestellt / Sanierung unklar

Vier Jahre nach der Vereinigung wird das erste sowjetische Ehrenmal demontiert. Ein 200-Tonnen-Kran wird morgen den Rotarmisten im Tiergarten vom Sockel holen. Grund für die spektakuläre Maßnahme sind erhebliche Bauschäden an der Bronzestatue, die 1945 zu Ehren des sowjetischen Sieges errichtet worden war. Nach einer jüngst durchgeführten Untersuchung drohe der Soldat herabzustürzen, erklärte gestern der zuständige Referatsleiter bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Heinz Wiegand. Das Denkmal soll nun — vorläufig — zu ebener Erde an die Straße des 17. Juni herangerückt werden, bis über seine endgültige Sanierung entschieden ist.

Die russische Botschaft Unter den Linden, die von der Senatskanzlei darüber informiert wurde, versuchte gestern dem Unternehmen den Anstrich des Ungewöhnlichen zu nehmen. Das Mahnmal sei tatsächlich überholungsbedürftig, meinte der russische Presseattache Anatoli Aljabjew. „Wir haben keine Befürchtungen, daß ehemalige sowjetische Denkmäler ganz abgebaut werden könnten.“ Die deutsche Seite habe ihre vertraglichen Verpflichtungen über den Erhalt der Ehrenmäler bislang eingehalten. „Wir können uns nicht beklagen“, meinte Aljabjew.

Die Siegeszeichen des Zweiten Weltkrieges sind nicht nur Touristenattraktionen, sondern gelten als Seismographen für die deutsch- russischen Beziehungen. Wiegand weiß aus seinen Zusammenkünften mit russischen Offizieren und Diplomaten, „mit welchem emotionalen Empfinden diese Objekte betrachtet werden“. Alle drei sowjetischen Ehrenmale in Berlin (Tiergarten, Treptower Park und Schönholzer Heide ) sind sanierungsbedürftig. Die geschätzten Kosten laut einem aktuellen Schadensbericht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: rund 30 Millionen Mark.

Angesichts leerer Kassen sieht sich Berlin jedoch außerstande, die Sanierung in eigener Regie durchzuführen. Allein die Unterhaltung der drei Objekte kostet das Land jährlich rund 850.000 Mark. Bonn, das nach Ansicht des Senats die Überholungsarbeiten bezahlen müßte, zeigt sich knauserig. Von 1991 bis 1993 wurden lediglich zwei Millionen Mark für die Sanierung nach Berlin überwiesen. In diesem Jahr rückte das Bundesinnenministerium noch keinen einzigen Pfennig heraus, obwohl die Berliner Seite wiederholt auf das Problem aufmerksam gemacht hat. Zuletzt mahnte Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) in einem Brief vom 7. November die Bonner Stellen an, die Kosten gefälligst zu übernehmen. Als „Knackpunkt“ gilt der Umstand, daß alle drei Denkmäler Eigentum des Landes sind. Folglich wäre in erster Linie Berlin für eine Generalsanierung zuständig. Doch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verweist auf die „gesamtstaatliche Bedeutung“ der Siegeszeichen.

Eine Sichtweise, die die Behörde durch völkerrechtliche Vereinbarungen und politische Äußerungen in Bonn gedeckt sieht. So hatte sich die Bundesrepublik 1990 in dem deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag verpflichtet, sämtliche Kriegerdenkmäler der Roten Armee zu pflegen. Eine Vereinbarung, die der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) in zwei Briefen an den Senat indirekt untermauerte, in denen er die „gesamtstaatliche Verantwortung für die Ehrenmale“ unterstrich. Zuletzt hatten im Sommer dieses Jahres Bundeskanzler Helmut Kohl und Rußlands Präsident Boris Jelzin das weiträumige Gelände im Treptower Park zum Abschied der russischen Truppen aus Ostdeutschland genutzt. Severin Weiland