Die Deutsche Bank als Kraftwerk

Bei den Energiekonsensgesprächen wollen Bundesregierung und Industrie weiter Atomenergie und billige Abnehmerpreise festschreiben  ■ Von Henrik Paulitz

Das Superwahljahr ist vorbei. Jetzt will die Industrie die vor einem Jahr abgebrochenen Energiekonsensgespräche mit der Politik wieder aufnehmen. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt sagte gestern seine volle Unterstützung zu und versicherte, die Option Atomkraft solle auf jeden Fall erhalten bleiben. Die Herren aus den Chefetagen der Energiekonzerne goutierten seine Worte.

Das Verhandlungsbedürfnis der Industrie ist schon alt: Bereits 1989 forderte Deutschlands wohl einflußreichster Energiemanager F. Wilhelm Christians eine überparteiliche Vereinbarung, die das „Miteinander von Kohle und Kernenergie fortschreibt“. Dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank, der bis vor kurzem auch Oberaufseher bei den Energiekonzernen RWE und Viag war, geht es vor allem um eine Existenzsicherung der Atomenergie für weitere Jahrzehnte. Mit einer Übereinkunft will er vermeiden, daß grün eingefärbte Regierungen den Großbanken das milliardenschwere Kreditgeschäft mit der Atomenergie vermasseln.

Außer den Energieversorgern werden bei den Konsensgesprächen auch Vertreter der stromverbrauchenden Industrie am Tisch Platz nehmen. Dies ist ebenfalls ein dringendes Anliegen der Großbanken, die ihre „Industriefilialen“ mit billiger Energie versorgt wissen wollen. Schon Hermann J. Abs, einst führender Kopf der Deutschen Bank, sorgte sich 1977 um die „Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Industriezweige“, die „auf niedrige Stromkosten angewiesen“ seien. Zehn Jahre später versicherte F. Wilhelm Christians, damals noch Vorstandssprecher der Deutschen Bank, daß er alles verhindern wolle, was die deutsche Exportwirtschaft zusätzlich belaste. Energiekosten seien hierbei ein ganz entscheidender Kosten- und damit Standortfaktor.

Tatsächlich ist Strom für deutsche Produzenten nur etwa halb so teuer wie für ihre japanischen Konkurrenten. Die Abnehmerpreise für die Chemie- und Aluminiumindustrie sind derart niedrig, daß sich die Frage aufdrängt, warum sie den Strom nicht gleich kostenlos beziehen. Seit Anfang der 80er Jahre bezahlen sie durchschnittlich zwischen 3 und 5 Pfennig je Kilowattstunde (Pf/kWh). Die Hamburger Aluminium-Werke kommen gar mit 2,8 Pf/kWh weg und der niedrigste bisher bekanntgewordene Strompreis wurde mit 1,8 Pf/kWh der Chlorchemie eingeräumt.

Diese Spottpreise liegen nicht nur weit unter den Erzeugungs- und Verteilungskosten der Energieversorger. Sie sind auch deutlich niedriger als die Grenzkosten für eine Eigenerzeugung des Stroms durch die Industrie selbst. Deshalb verringerte sich ihr Anteil von 49 Prozent Anfang der 50er Jahre auf 16 Prozent in 1993. Verhindert wird somit die umweltfreundliche Kopplung von Strom- und Prozeßdampferzeugung, während der uneffiziente Einsatz von Elektrowärme begünstigt wird.

Die Großbanker beschränken sich jedoch nicht auf die Forderung nach billigem Industriestrom. Vielmehr sorgen sie dafür, daß die privaten Haushalte und das Kleingewerbe immer stärker für die Dumpingpreise der SondervertragskundInnen aufkommen müssen. So verkündete Christians 1989: „Wir kommen nicht darum herum, eine deutliche Differenzierung im Bereich der Tarif- und Sonderabnehmer anzustreben.“ „Überproportionale Belastungen“ der Industrie müßten abgebaut werden. Tatsächlich senkten nach 1989 die meisten Stromversorger ihre Industriestrompreise. Dagegen laufen unter anderem bei RWE die Vorbereitungen für eine Erhöhung der Tarifstrompreise, die vermutlich auf der morgigen Hauptversammlung ein Thema sein werden.

Aber auch auf noch andere Weise versucht F. Wilhelm Christians, der Industrie zu billigem Strom zu verhelfen. Seit Jahren lockt die hochverschuldete Electricité de France (EdF) die deutsche Großindustrie mit Nuklearstrom zu Dumpingpreisen. Für die Deutsche Bank war ihre Einbeziehung als Lieferantin allerdings eine heikle Angelegenheit: Auf keinen Fall wollte sie die Gebietsmonopole von RWE & Co durch französische Stromimporte aufweichen.

Doch Christians fand einen Kompromißvorschlag, der sowohl die Interessen der energieerzeugenden als auch -konsumierenden Industrie berücksichtigte. Er forderte eine deutsch-französische Konvention, in der der Abnehmerkreis des billigen EdF-Stroms klar und abschließend definiert werden sollte. Eine Direktlieferung der EdF an die deutsche Industrie sollte somit ausgeschlossen werden. Tatsächlich unterschrieben RWE Energie und EdF im Geschäftsjahr 1990/91 eine „Strombezugsvereinbarung“ über 500 Megawatt. Offenbar haben sich die Herren gemäß Christians' Rat an einen Tisch gesetzt.

Den ganz großen energiepolitischen Wurf erhofft sich der Banker denn auch von einer Europäisierung der Energiepolitik. Zum einen will er die Steinkohlesubventionen, für die er sich nach den Ölpreiskrisen in den 70er Jahren selbst stark gemacht hatte, vom Tisch bringen. Zum zweiten möchte er der kommunalen Energiewirtschaft endgültig den Boden entziehen: „Dem zweifelhaften Trend zu einer Provinzialisierung unserer Energiepolitik, wie wir sie in einigen Bundesländern und Stadtstaaten erleben, möchte ich die Forderung nach einem integrierten europäischen Energiekonzept gegenüberstellen.“ Damit steht Christians in einer Reihe mit dem Bundeswirtschaftsminister und den Energieversorgern, die in den neuen Bundesländern alles daran setzen, den Aufbau ökologisch orientierter Stadtwerke zu behindern.

Zum dritten fordert Christians „einen für den gesamten kontinentalen Binnenmarkt geltenden Kraftwerks- und Standortentwicklungsplan“. Ein stärkerer Stromaustausch zwischen den Energiekonzernen ist bereits in vollem Gange. Und die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an einem Gesetz für die beschleunigte Durchsetzung der dafür notwendigen Stromtrassen. Zwischen Bundesregierung, Banken und Industrie ist der Konsens schon Wirklichkeit.

Vom Autor erschien jüngst das Buch „Manager der Klimakatastrophe – die Deutsche Bank und ihre Energie- und Verkehrspolitik“.