Majors Tory-Rebellen außer Kontrolle

■ Schwere Niederlage für Großbritanniens Premierminister bei Mehrwertsteuer-Abstimmung im britischen Unterhaus

Dublin (taz) – Selbst für eine Regierung, die an Niederlagen längst gewöhnt sein muß, war die Abstimmung im Londoner Unterhaus am Dienstag abend eine Demütigung: Mit acht Stimmen Mehrheit verhinderten die Abgeordneten die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Heizstoffe. Sieben Tory-Abgeordnete hatten mit der Opposition gestimmt.

Bis zuletzt hatten Premierminister John Major und Schatzkanzler Kenneth Clarke potentielle Dissidenten in Einzelgesprächen bearbeitet. Kurz vor der Abstimmung sagte Clarke ein Hilfspaket in Höhe von hundert Millionen Pfund für RentnerInnen zu, um die Folgen der Mehrwertsteueranhebung von acht auf 17,5 Prozent abzumildern. Es half alles nichts – die Labour Party errang ihren spektakulärsten Sieg seit Majors Amtsübernahme vor vier Jahren.

Dabei spielen weniger die 1,5 Milliarden Pfund (rund 3,6 Milliarden Mark) eine Rolle, die im vergangene Woche verabschiedeten Haushaltsplan nun fehlen, als vielmehr die Tatsache, daß die Tory- Parteiführung nicht einmal mehr bei innenpolitischen Themen die Abgeordneten hinter sich hat. In der vergangenen Woche wurden acht Abgeordnete aus der Fraktion ausgeschlossen, weil sie gegen das EU-Finanzierungsgesetz gestimmt hatten. Man hatte erwartet, daß die Verbannten in nächster Zeit den Schwanz einziehen würden, um wieder in den Schoß der Fraktion aufgenommen zu werden. Doch weit gefehlt: Eine Handvoll von ihnen stimmte vorgestern erneut gegen die Regierung, die nun um ihre Zukunft bangen muß.

Kenneth Clarke reagierte umgehend: Nach einem Gespräch mit Eddie George, dem Direktor der Bank von England, erhöhte er gestern die Zinsrate um ein halbes auf 6,25 Prozent. Der Verband der Geschäftsleute protestierte gegen diese Maßnahme, weil sie das Wirtschaftswachstum bremsen und zum Bankrott vieler Kleinunternehmen führen werde, wie ein Sprecher prophezeite. Clarke sagte dagegen, er sehe „keinen Grund, die Zinserhöhung aufzuschieben, weil ich Unsicherheit in den Finanzmärkten vermeiden wollte“.

Der Schatzkanzler veröffentlicht heute einen Nachtrag zum Haushaltsplan, um die fest eingeplanten 1,5 Milliarden Pfund anderweitig aufzutreiben. Da jedoch 650 Millionen als Ausgleich für Härtefälle vorgesehen waren, was nach der Abstimmungsniederlage entfällt, hält sich der Einnahmeverlust in Grenzen.

Der rechte Parteiflügel plädiert für weitere Ausgabenkürzungen, obwohl im kommenden Haushaltsjahr ohnehin bereits 6,9 Milliarden Pfund dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. Die meisten Tories ziehen deshalb eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der Einkommensteuer vor, die eine unpopuläre Regierung freilich noch unbeliebter machen würde.

Die Labour Party feierte ihren Erfolg im Unterhaus mit einem Jubelschrei, der einem Fußballstadion alle Ehre gemacht hätte. „Das ist eine demütigende Niederlage für eine Regierung, der die Kontrolle entglitten ist“, sagte Labour- Chef Tony Blair. „Seit Monaten taumelt sie von einer Krise in die andere.“

Blairs Spekulation, daß „die Tories nun über den Jordan gegangen“ seien, ist allerdings verfrüht. Die Regierung wird sich jedoch für den Rest ihrer Amtszeit – immerhin noch mindestens zwei Jahre – an derartige empfindliche Niederlagen gewöhnen müssen. „Wir meinen immer, so könne es nicht weitergehen“, sagte ein Journalist, „aber das tut es.“

Ralf Sotscheck