Deutsche 2. Klasse?

■ Alle vier Jahre beschäftigt sich die Bundesregierung mit den Jugendlichen

Berlin (taz) – Sie sind die ersten, die ins neue Deutschland hineinwachsen, Jugendliche im Osten. Geboren Ende der Siebziger, aufgewachsen, als der Mauer noch 100 Jahre gegeben wurden. Wie leben sie, wie werden sie erwachsen? Der neunte Jugendbericht der Bundesregierung, der seit gestern vorliegt, versucht Antworten zu finden. Auf mehr als 700 Seiten legen Sozialwissenschaftler einen Zustandsbericht der Ostjugend vor. Nie waren sie so friedfertig wie heute – auch wenn Neonazismus, Rassismus und ausländerfeindliche Gewalt ein anderes Bild suggerieren mögen. Weder die Ermittlungsakten der Polizei noch Mitgliedslisten rechtsradikaler Organisationen und Gruppen können diese Annahme untermauern.

Aber sie sind skeptischer als die Generationen vor ihnen. „Als größte Sorge wird von jungen Menschen die schwierige Arbeitsmarktsituation empfunden“, so der Bericht. Vor allem arbeitslose Jugendliche sind unzufrieden mit ihrem Leben, während 90 Prozent derer, die Arbeit haben, „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ sind.

Aber in der Selbsteinschätzung teilen dennoch 33,5 Prozent aller Jugendlichen die Meinung: „Ich fühle mich als Deutscher zweiter Klasse.“ 47,2 Prozent fühlen sich „ein bißchen“ so. Wen wundert's, wenn gerade arbeitslose Jugendliche den Satz „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ unterschreiben. Der Bericht analysiert, woher solche Einschätzungen rühren. „Da in der DDR Berufsarbeit für junge Menschen einen noch höheren Stellenwert hatte als für Jugendliche der alten Bundesrepublik, manövriert Arbeitslosigkeit Jugendliche in den neuen Ländern stärker in eine Situation der Ausweglosigkeit.“ Diese Analyse wäre eine gute Grundlage für politische Strategien. Gerade Ost-Jugendliche bedürfen der sozialen Integration mittels Beschäftigungsprogrammen. Wieviel Bonn auf diesem Gebiet in den letzten vier Jahren versäumt hat, darüber schweigt sich Jugendministerin Claudia Nolte (CDU) in ihrer Stellungnahme aus. Gestern ließ sie die alte Floskel hören, es sei nicht nur die Aufgabe Bonns, für mehr Arbeit zu sorgen, sondern auch die der Kommunen und Länder.

Weit hilfreicher als Bonner Lippenbekenntnisse empfinden Jugendliche übrigens die Unterstützung durch ihre Familien. 83 Prozent der westdeutschen und 89 der ostdeutschen Jugendlichen bauen bei emotionalen und sachlichen Problemen auf ihre Eltern. Annette Rogalla