„Ruppig“ im Namen des Volkes

■ Berliner Amtsgericht spricht zwei Polizisten frei / Der Vietnamese Phan Huu Dat hatte gegen sie Anzeige wegen Körperverletzung erstattet / Urteil mit Signalwirkung

Im Namen des Volkes: Freispruch. Erleichterter Augenaufschlag auf der Anklagebank, resigniertes Kopfschütteln beim Nebenkläger. Nach vier Verhandlungstagen sah das Berliner Amtsgericht gestern nicht als erwiesen an, was im Sommer 1993 vor einem Berliner Ausländerwohnheim geschehen war: Dort sollen die beiden Polizisten Carsten P. und Matthias M. den 45jährigen Vietnamesen Phan Huu Dat beschimpft und geschlagen haben. Im Zuge dieses Polizeieinsatzes war Dat so schwer verletzt worden, daß er mit dem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht werden mußte, wo er vier Tage lang behandelt wurde.

Körperverletzung im Amt lautete denn auch die Anklage, und mit Spannung war erwartet worden, wie die Justiz mit diesem Vorwurf umgehen würde. Denn der gestrige Prozeß galt als Pilotverfahren im Rahmen einer ganzen Kette von Anschuldigungen gegen die Berliner Polizei: Die Beamten, so die Vorwürfe zahlreicher Vietnamesen, hätten sie wiederholt mißhandelt, sexuell genötigt und bestohlen.

Weil sie ihn verdächtigten, unverzollte Zigaretten im Koffer seines Autos zu lagern, hatten die beiden Zivilpolizisten Phan Huu Dat vor dem Wohnheim barsch zur Rede gestellt. Was dann geschah, schilderte der Vietnamese dem Gericht so: Sie hätten „unangenehme Worte gesagt“, ihn angeherrscht, den Mund zu halten, „weil wir sind Deutsche, und du bist Ausländer“. Sie wären so unhöflich gewesen, daß er gar anzweifelt hätte, daß sie wirklich Polizisten seien. Dann hätten sie ihn am Hemdkragen gepackt, gegen sein Auto gedrückt und in Gesicht und Bauch geschlagen.

Polizisten seien gewohnt, daß ihr Gegenüber kuscht

Die beiden Polizisten bestritten das. Sie hätten nur höflich nach Dats Papieren gefragt. Die Verletzungen, die der schmächtige Vietnamese tatsächlich davongetragen hatte, seien ihm erst später zugefügt worden, als eine „unüberschaubare Menge“ von Landsleuten ihm zu Hilfe kommen wollte. Gegen diese und Phan Huu Dat hätten sich die in die Defensive geratenen Polizisten wehren müssen.

Das Gericht schenkte den beiden Beamten Glauben. Sie seien bei ihren Einsätzen gewohnt, daß ihr Gegenüber kuscht. Das habe Dat, der zu Recht auf seine Unschuld pochte, nicht getan. Die Polizisten seien dann zwar „ruppig“ gewesen, mehr aber nicht. Und Ruppigsein sei nun einmal kein Straftatbestand. Zuvor hatte auch die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert, weil eine eindeutige Schuld der Beamten nicht nachweisbar sei.

Zeugen vor Gericht als „Lügenmaffia“ diffamiert

Allerdings hatten sich weder Staatsanwalt noch Gericht sonderlich um diesen Nachweis bemüht. Der geschlagene Vietnamese Dat, mit dem deutschen Rechtssystem nicht vertraut, mußte fast sämtliche Beweise und Zeugen selber herbeischaffen, Ortstermine und aufwändige Zeugensuche hatten sich die Ermittler erspart. Die Zeugen, die Dat ausfindig machen konnte, mußte er gestern vom Verteidiger der Angeklagten als „vietnamesische Lügenmafia“ diffamieren lassen.

Für das konkrete Tatgeschehen waren mit Ausnahme eines vietnamesischen Heimbewohners dann allerdings keine unabhängigen Zeugen auffindbar. Und Dats Aussage allein wollte Richter Frenzel, nach minutiösem Abklopfen auf Widersprüche, keinen Glauben schenken. Monate zuvor hatte derselbe Richter weniger Schwierigkeiten mit dem Glauben und den Zeugen gehabt. Ohne mündliche Verhandlung und ohne Zeugenvernehmung hatte der Richter einen Strafbefehl gegen Phan Huu Dat erlassen, weil er sich gegen die beiden Polizisten, von denen er sich beleidigt und rüde mißhandelt fühlte, gewehrt hatte. „Wenn ich vorher gewußt hätte, wie ein solcher Prozeß abläuft“, so der bleiche Nebenkläger Dat nach dem Urteil, „hätte ich keine Anzeige erstattet.“

Vera Gaserow