Bosnischer Totentanz im Klassenzimmer

■ Mit dem Stück „Mirad – ein Junge aus Bosnien“ besucht das Schauspielhaus Hamburger Schulen

Eins wollte ich in meinem Leben nie werden: Referendar. Aber zur Tarnung läßt man sich ja zu vielem breitschlagen. Und Tarnung gehörte dazu, als Marion Breckwoldt und Jörg Schröder als bosnisches Ehepaar in einer unvorbereiteten Klasse des Helene-Lange-Gymnasiums das Stück Mirad – ein Junge aus Bosnien spielten. Denn die beiden Schauspielhaus-Ensemblemitglieder, die das Stück des Niederländers Ad de Bont im Rahmen des Jugendarbeitsprojekts des Hauses selbst einstudiert hatten, versuchen zumindest anfänglich, eine authentische Stimmung zu erzeugen. Zur Premiere in einer 10. Klasse des Eimsbüttler Gymnasiums mußten die Journalisten deswegen als Nachwuchskollegen aus Sachsen vorher eingeschleust werden.

In schedderiger Lederjacke und mit Kopftuch betreten die beiden Schauspieler dann zehn Minuten später den Raum und beginnen mit einer verlegenen Entschuldigungsarie eine Stimmung peinlicher Berührtheit zu erzeugen, die aber schnell in gebannte Betroffenheit über das Erzählte umschlägt.

Onkel und Tante des Jungen Mirad berichten von dem unsäglichen Grauen des Bürgerkriegs am Beispiel des Schicksals des 15jährigen bosnischen Moslems. Seine Mutter wird bei einem Serbenüberfall in seiner Heimatstadt Foca verschleppt, die Schwester vor seinen Augen von einer Handgranate aufgerissen und er selbst von den Serben mit fünfzig anderen Jungen und Männern, darunter sein Vater, in ein Minenfeld getrieben, aus dem er als einziger lebend zurücckehrt. Auf Umwegen gelangt er als Flüchtling nach Deutschland, von wo er aber bald wieder aufbricht, um in seiner Heimat seine Mutter zu suchen. Seitdem ist Mirad verschollen.

In der anschließenden Diskussion mit den Schauspielern über diese wahre Geschichte und die Hintergründe des Krieges in Bosnien-Herzegowina zeigen die vorher dröge und maulend dem Unterricht folgenden Schülerinnen und Schüler plötzlich ein beeindruckendes Wissen und Interesse. Beinahe jeder der knapp 20 Schüler kennt persönlich Gleichaltrige aus dem ehemaligen Jugoslawien, und auch über die Situation der von Abschiebung bedrohten Menschen in Hamburg sind einige erstaunlich präzise informiert.

Plötzlich regt sich deutlicher Unmut darüber, daß dieser Krieg nie Thema in der Schule ist. Und die Lehrerin, die vorher schon mit der höflichen, aber unangemessenen Aufforderung zu klatschen bei ihren Schülern auf selbstbewußte Ablehnung gestoßen war, muß plötzlich verlegen ihr ignorantes Kollegium verteidigen. Diese zornige Neugier ist sicherlich die erfreulichste Reaktion, die man auf diese Form des halb unsichtbaren Theaters erhalten kann.

Till Briegleb

Lehrer können sich mit Michael Müller im Schauspielhaus in Verbindung setzen, Tel: 24871-112