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Japans Oppositionswunder

In Tokio gründet sich eine neue Einheitspartei / Zwei alte Bekannte, Kaifu und Ozawa, führen das Land in ein neues Zweiparteiensystem  ■ Aus Tokio Georg Blume

Als vor zwei Jahren der letzte große japanische Korruptionsskandal seinen Höhepunkt erfuhr und das politische Schicksal des legendären Fraktionsführers der Liberaldemokraten, Shin Kanemaru, besiegelte, hatte sich der alte Königsmacher seine Nachfolger schon ausgeguckt: Ichiro Ozawa und Toshiki Kaifu. Ein Zweiergespann, von dem Kanemaru glaubte, es könne den Glaubwürdigkeitsverlust der japanischen Politik im In- und Ausland überwinden. Am vergangenen Donnerstag nun nahm Kanemaru endgültig Abschied von der Politik: „Ich möchte mich noch einmal für die Affären entschuldigen“, frohlockte der 80jährige ausgerechnet an dem Tag, an dem sich alle seine Voraussagen zu erfüllen schienen.

Denn welche Überraschung, als zur gleichen Zeit in Tokio die Abgeordneten von insgesamt neun Oppositionsparteien zusammenkamen, um die Führung ihrer neuen Einheitspartei zu wählen: Zum Parteivorsitzenden wurde Toshiki Kaifu; das Amt des Generalsekretärs gewann Ichiro Ozawa. „Das war eine Wahl, die Shin Kanemaru erfreuen kann“, räumt der Oppositionspolitiker Hajime Funada neidlos ein. Heute will die Kaifu-Ozawa-Partei nun in Yokohama zur Intonierung von Beethovens 9. Symphonie ihr Gründungsfest feiern.

Damit soll in der japanischen Politik wieder alles klar und übersichtlich werden. Niemand braucht sich mehr die zum Teil unübersetzbaren Namen jener Kleinstparteien merken, die nach dem Ende der liberaldemokratischen Einparteienherrschaft im letzten Jahr wie Pilze aus dem Boden schossen. „Shinshinto“ – „Neue Fortschrittspartei“ (NFP) heißt das japanische Oppositionswunder. Denn kaum einer hätte vermutet, daß sich in der stark fraktionierten Tokioter Politszene neun Parteien unter einen Hut bringen lassen. „Wir bringen Japan politische Stabilität und eine klare Regierungsalternative“, verspricht Hajime Funada, den die Time für seine Verdienste beim Aufbau der neuen Partei zum „global leader“ für das 21. Jahrhundert kürte.

Angefangen hatte alles, als die gegen die Liberaldemokratische Partei (LDP) gebildete Koalitionsregierung in diesem Sommer zusammenbrach, und die LDP in Koalition mit den Sozialdemokraten zurück an die Regierung kam. Den Verlierern in der Opposition war daraufhin klar, daß nur eine gemeinsame Partei sie eines Tages wieder zusammen an die Macht bringen könnte. Zum objektiven Zwang wurde die neue Parteigründung, als im November ein neues Wahlsystem verabschiedet wurde, das dem Mehrheitswahlrecht Vorrang einräumte und kleinen Parteien bei den nächsten Wahlen keine Chance gelassen hätte. Trotzdem bedurfte es einer Reihe politischer Kunststücke bis schließlich eine Partei entstand, die sich mit den Liberaldemokraten messen kann: 180 Abgeordnete wird die NFP im Unterhaus zählen. Die Liberaldemokraten dagegen sind mit 200 Abgeordneten vertreten, und die Sozialdemokraten halten mit ihren nur 72 Mandaten die Waage. Aber wie lange noch?

Schon gibt es Absetzbewegungen unter den Sozialdemokraten in Richtung der neuen Partei, die ein Ende der jetzigen Regierungskoalition jederzeit denkbar erscheinen lassen. Und viele politische Beobachter rechnen aufgrund des neuen Wahlsystems schon mit baldigen Neuwahlen. Auch ihnen bleibt freilich unklar, wie sich die Parteien im neuen Zwei- bis Dreiparteiensystem überhaupt noch voneinander unterscheiden.

Die neugewählte Oppositionsspitze macht Differenzierungen nicht leichter: Schon zwischen 1989 und 1991 regierten Kaifu als LDP- Premier und Ozawa als LDP-Generalsekretär gemeinsam unter dem Kommando von Shin Kanemaru das Land. Allerdings gibt es auch neue Gesichter: NFP-Sprecherin Yuriko Koike etwa, die als forsche TV-Moderatorin agierte und erst vor zwei Jahren mit der Bürgerpartei um Ex-Premier Morihiro Hosokawa in die Politik ging. „Ich bin gegen den Selbstzweck der Parteien“, begründet sie ihre neue Parteiwahl und hofft auf eine grundsätzliche Reform des von Bürokratenmacht und Bürgerferne geprägten Zentralstaats.

Erstaunlich war der Aufstieg der buddhistischen Komei-Partei. Sie gehören nun zum harten Kern der neuen Opposition und bergen sowohl pazifistische wie ökologische Strömungen. Die Demokratisch-Soziale-Partei hingegen sorgt mit ihrem Beitritt noch für eine stark sozialstaatlich orientierte Richtung in der neuen Partei.

Wie in Japan ohnehin üblich, verzichtet die NFP vorerst auf konkrete programmatische Ziele. Allgemein spricht sich ein zehnseitiges NFP-Manifest für eine geringere industriepolitsche Einmischung des Staates in die Wirtschaft und den Abbau der Zentralbürokratie aus. Doch vor allem in zwei Punkten – eine mögliche Verfassungsänderung im Sinne einer Aufhebung des japanischen Gewaltverzichts und eine Position zur japanischen Vergangenheitsbewältigung – herrscht in der NFP noch Uneinigkeit.

Die weitgehend unklaren Parteiziele mögen der Grund dafür sein, daß die NFP in Umfragen bisher enttäuschend abschneidet. Erst bei den nächsten Wahlen werden viele Japaner dann wohl merken, daß ihnen unter dem Mehrheitswahlrecht gegen die LDP keine andere Stimme mehr bleibt als die für Kanemarus Schützlinge.

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