Der Hinterhof ist zivilisiert

US-Präsident Clinton hat die Staatschefs Amerikas zum Gipfeltreffen geladen / Ziel ist eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland  ■ Aus Miami Andrea Böhm

Man muß schon ein gutes Gedächtnis für Abkürzungen haben, um noch zu wissen, ob es gerade um Apec, KSZE, Mercosur, Gatt, Nafta oder Nato geht. US-Präsident Bill Clinton hat offenbar den Überblick behalten. In den letzten vier Wochen setzte Clinton zwischen seinen Auftritten beim Treffen des „Asia Pacific Economic Cooperation“-Forums (Apec) und beim Gipfeltreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) eben noch schnell die Ratifizierung des Gatt- Abkommens durch. An diesem Wochenende will er in Miami beim Gipfeltreffen von 34 amerikanischen Regierungschefs gleich ein neues Kürzel einführen: Afta. Die vier Buchstaben stehen für „Americas Free Trade Area“ und bezeichnen den ersten Schritt zu einer amerikanischen Freihandelszone, die sich von Alaska bis nach Feuerland erstrecken soll. Als erstes südamerikanisches Land soll Chile eingeladen werden, dem „North American Free Trade Agreement“ (Nafta) beizutreten, dem bislang die USA, Kanada und Mexiko angehören.

Dieses Angebot bleibt hinter den Erwartungen einiger lateinamerikanischer Länder zurück – allen voran Argentinien. In Buenos Aires hatte man sich vom Gipfeltreffen in Miami eine gemeinsame Erklärung erhofft, die nach dem Vorbild der Apec-Erklärung ein konkretes Datum für die Errichtung einer Freihandelszone festlegt: das Jahr 2015. Argentiniens Position stößt allerdings auf Widerstand in Brasilien, wo man befürchtet, daß der US-Vorschlag den Aufbau kleinerer regionaler Handelszonen wie Mercosur behindern wird, in der sich Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zusammengeschlossen haben. Daß die wirtschaftliche Kooperation bei diesem Gipfeltreffen im Vordergrund steht, soll gemäß der Regie des Gastgebers USA auch die neue Ära der interamerikanischen Beziehungen symbolisieren. Beim letzten Gipfel 1967 in Uruguay waren Generalsuniformen ein vertrauter Anblick. Die Supermacht schätzte man vor allem wegen ihrer freizügigen Hilfe für den eigenen Militär- und Polizeiapparat. Die wiederum schätzten „autoritäre“ Regime als „Bollwerk gegen den Kommunismus“, wobei die Freiheit des Marktes Vorrang vor der Freiheit der Bürger hatte. 27 Jahre später möchte Bill Clinton den Siegeszug von „Demokratie und Marktwirtschaft“ feiern. Schließlich handelt es sich bei den Gästen nicht mehr um Putschisten und Absolventen der US-Militärakademie „School of the Americas“, von Menschenrechtsgruppen auch „Schule der Mörder“ genannt, sondern um Wahlsieger und Absolventen der US-Eliteuniversitäten Yale, Harvard oder Princeton. Zudem boomt Lateinamerika; im letzten Jahr exportierten US-Firmen Waren und Dienstleistungen für 78 Milliarden Dollar dorthin. Bis zum Jahr 2000 könnte Lateinamerika, so glaubt die Clinton-Administration, ein größerer Absatzmarkt für die USA werden als Westeuropa. Was in den Lobeshymnen der US- Presse selten erwähnt wird, sind jene 40 Prozent der Bevölkerung, die weiterhin in Armut leben – und für politischen Sprengstoff sorgen können. Mexikos neugewählter Präsident Ernesto Zedillo zum Beispiel dürfte die Tage in Miami mit angespannten Nerven verbringen, da die Bauernguerilla der „Zapatistas“ in der Provinz Chiapas ein Ende des Waffenstillstandes mit der Regierung angedroht hat. Die geplanten Trinksprüche auf Demokratie und Marktwirtschaft haben noch einen anderen Hintergrund: Bill Clinton will in Miami erneut die Isolation des sozialistischen Schmuddelkindes Fidel Castro demonstrieren, der natürlich nicht eingeladen ist. Damit allerdings dürfte Clinton für Konfliktpotential gesorgt haben, denn mit ihrer Hardlinerposition gegenüber Kuba stehen die USA international mittlerweile alleine da. Unter anderem die Nachbarn und Nafta-Partner Kanada und Mexiko plädieren für einen Kurswechsel Washingtons gegenüber Havanna durch die Aufhebung des Handelsembargos. Boat people aus Kuba, die in Panama kaserniert sind, probten am Donnerstag den Aufstand. Etwa tausend von ihnen sind nach schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei entflohen. Auch in Miami muß Clinton mit einem unfreundlichen Empfang der kubanischen Exilgemeinde rechnen. Sie hat für heute eine Großdemonstration angekündigt, um gegen die fortgesetzte Internierung von über 20.000 kubanischen Bootsflüchtlingen im US- Marinestützpunkt Guantánamo zu protestieren.