Staatsanwalt glaubt dem Todesschützen

Nach tödlichem Schuß auf 16jährigen Kurden wird ein Polizist wegen fahrlässiger Tötung angeklagt  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – Wegen fahrlässiger Tötung hat die hannoversche Staatsanwaltschaft gestern Anklage gegen den 28jährigen SEK-Polizisten erhoben, der den kurdischen Jugendlichen Halim Dener erschossen hat. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat sich der Schuß, durch den der 16jährige Kurde Ende Juni in Hannover aus nächster Nähe in den Rücken getroffen wurde, versehentlich gelöst, als der Polizist seine Waffe ins Holster zurückstecken wollte. Die Anklage, an der der zuständige Oberstaatsanwalt Nikolaus Borchers über fünf Monate gearbeitet hat, folgt damit im wesentlichen jener Darstellung des Geschehens auf dem hannoverschen Steintorplatz, die der Polizist selbst nach der Tat zu Protokoll gegeben hatte.

Für die Staatsanwaltschaft gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß der Polizeiobermeister vorsätzlich auf den fliehenden Halim Dener geschossen hat. Allerdings habe der Polizist bei dem Festnahmeversuch gegen eine Grundregel beim Umgang mit Schußwaffen verstoßen. Er hätte voraussehen können und müssen, daß „sich unwillkürlich ein Schuß lösen und Dener treffen und töten konnte“, heißt es in einer Mitteilung von Oberstaatsanwalt Borchers. Dabei hält der Ankläger dem beschuldigten Polizeibeamten zugute, daß er sich unter hektischen Begleitumständen in kürzester Zeit habe entscheiden müssen. Ob dem Angeklagten unter diesen Umständen strafrechtlich ein Vorwurf zu machen sei, müsse letztlich das Gericht entscheiden. Wegen der besonderen Bedeutung des Falles hat Borchers die Anklage vor dem hannoverschen Landgericht erhoben.

Anders als die Staatsanwaltschaft hält der Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schulz, der die Eltern des erschossenen Jugendlichen vertritt, die Aussagen des Schützen über den Tatablauf weiterhin für wenig glaubwürdig. So wies Schulz im Ermittlungsverfahren wiederholt darauf hin, daß der Todesschütze vor seiner ersten Aussage das Tatgeschehen mit seinen Vorgesetzten ausführlich erörtert habe.

Der Rechtsanwalt geht davon aus, daß der Polizeibeamte gezielt auf den flüchtenden Jugendlichen geschossen hat, der zuvor beim Kleben von kurdischen Plakaten erwischt worden war. Hans-Eberhard Schulz beruft sich dabei auf mehrere Zeugenaussagen, nach denen der SEK-Beamte zum Zeitpunkt der Schußabgabe einen Gegenstand aus der Hüftgegend gezogen und vor sich gehalten habe. Der Jugendliche sei in mehr als 120 Zentimeter Höhe von der Kugel des Polizeibeamten getroffen worden. Dies widerspreche der Aussage des Beamten, wonach er zum Zeitpunkt der Schußabgabe auf dem Boden hockend seine Waffe ins Holster habe zurückstecken wollen.