„Ich bin doch ein totaler Laie“

■ Warum Gewerkschafter Häring bei der Berufsgenossenschaft Anträge auf Entschädigung ablehnt / Serie: „Asbest – die geleimten Opfer“ (4)

Dieter Häring hat Macht: Er entscheidet, ob ein lärmschwerhöriger Vulkanese oder ein asbestgeschädigter Klöckneraner eine Rente bekommen. Denn die IG Metall hat Dieter Häring, den Schwerbehindertenvertrauensmann von Klöckner, in den Rentenauschuß der Berufsgenossenschaft Metall entsandt. Außer dem Arbeitnehmervertreter sitzt jeweils auch ein Arbeitgebervertreter im Rentenausschuß. Wir fragten Dieter Häring, warum er so viele Anträge ablehnt. taz: Wieviele Fälle müssen Sie pro Sitzung entscheiden?

Dieter Häring: Zwischen 40 und 50.

Und wie lange geht so eine Sitzung?

Dreieinhalb, vier Stunden

Sie müssen also zehn Fälle in einer Stunde entscheiden. Bekommen Sie denn die Akten vorher zugesandt?

Nein, die Akten auf keinen Fall, die Namen der Betroffenen aber auch nicht. Das ist ja das Manko. Wir kennen die Fälle vorher gar nicht. In der Sitzung des Rentenausschusses trägt der jeweilige Sachbearbeiter dann stichwortartig vor, was in dem Fall gemacht wurde und wie die medizinischen Gutachter entschieden haben.

Und wie entscheiden Sie dann?

Wir können ja nicht anders, als uns der Mehrheit der Gutachter anzuschließen! Wenn der eine Gutachter, sagen wir mal der Bremer Lungenarzt Dr. Demedts oder der Landesgewerbearzt sagt „30 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit, also entschädigen“, der zweite Gutachter aber ist schon bei unter 20 Prozent, und der dritte Gutachter sieht überhaupt keinen Asbest mehr – was sollen wir denn dann machen, wir sind doch totale Laien.

Haben Sie denn nicht die Möglichkeit, neue Beweiserhebungsanträge zu stellen, also zu sagen: Ich möchte, daß der oder jener Gutachter sich den Kranken nochmal anschaut?

Ja, aber was nützt das? Das würde das Verfahren nur verzögern. Wenn da zum Beispiel der Professor Hartmann vom Krankenhaus Ost sein Gutachten abgibt, und der entscheidet oft positiv – dann schickt die Berufsgenossenschaft den Kranken nochmal zu einem oder mehreren anderen Gutachtern. Und das ist auch das Recht der Berufsgenossenschaft. Die verwaltet ja das Kapital. Da stehen dann am Ende zwei negative gegen eine positive Entscheidung.

Das heißt aber, daß dieses Verfahren mit Beteiligung von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter, was so demokratisch aussieht, eigentlich eine Farce ist.

In der Sitzung habe ich zwar nicht den Eindruck, daß die Berufsgenossenschaft uns überbügelt, aber die haben eben eine rechtliche Grundlage geschaffen, die uns fast nicht andreres übrig läßt, als wie die Gutachter zu entscheiden.

Wie könnte man denn die Position der Arbeitnehmervertreter stärken?

Dadurch, daß wir die Fälle bekommen. Man muß nicht die Akte vorgelegt bekommen, aber man muß zumindest den Namen wissen. Damit wir den anrufen können und nach der Arbeits- und Krankheitsgeschichte fragen können. Dann könnten wir das mit den Gutachten vergleichen. Dann erst hätten wir überhaupt eine Kontrollmöglichkeit. Fragen: Christine Holch