Es ist doch Frühling!

■ Zum Tod des brasilianischen Bossa-Nova-Königs Tom Jobim

Ein Beethoven Brasiliens? Oder der Gershwin der Tropen? Antonio Carlos Brasileiro de Almeida Jobim, Vater des Bossa Nova, gehörte sicherlich zur auserlesenen Gruppe musikalischer Genies. Glücklicherweise wurde seine künstlerische Schaffenskraft noch zu Lebzeiten weltweit anerkannt. Der Komponist von über vierhundert Liedern, darunter weltberühmte Titel wie „Girl from Ipanema“, „Corcovado“ und „Desafinado“, prägte nicht nur die brasilianische Volksmusik, sondern die US-amerikanische Unterhaltungsmusik und insbesondere den Jazz. Durch den überraschenden Tod des 67jährigen (die taz berichtete) verliert die Generation brasilianischer Bossa-Nova-Musiker einen ihrer letzten herausragenden Vertreter.

Daß die Mitte der 50er Jahre umgeschlagene Bossa-Nova- Welle vom Meeresstrudel bereits wieder in die salzigen Tiefen des Ozeans hineingerissen worden war, hatte Tom Jobim, wie die Brasilianer den Komponisten zärtlich nennen, noch zu Lebzeiten bemerkt. Die Schönheit der Stadt an der Bucht von Guanabara, die Jobim besingt, erschien als Paradies auf Erden. Bis heute gibt es keine gelungenere Werbekampagne für den Tourismus an der Copacabana als Jobims musikalische Liebeserklärung an seine Heimat.

Doch die Aufbruchstimmung der Bossa-Nova-Epoche, als Brasilien im Jahre 1958 erstmals Fußballweltmeister wurde und die Architekten Niemeyer und Costa Brasilia auf dem Reißbrett entwarfen, ist verflogen. Die Muse vom Strand des vornehmen Rio-Viertels „Ipanema“, Elouisa Pinheiro, die Jobim 1962 zur Komposition des Bossa-Hits „Girl from Ipanema“ inspirierte, ist nach São Paulo umgezogen. Die Krabben, die der musikalische Junge einst aus dem Brackwassersee „Lagoa Rodrigo de Freitas“ fischte, sind vor der Verschmutzung ins offene Meer geflüchtet. Die bunten Vögel im Regenwald-Dickicht, die er besang, haben sich vor den wuchernden Elendsvierteln auf den Hügeln von Rio in den Botanischen Garten der Stadt zurückgezogen.

Trotz Wirtschaftskrise und Kriminalität, die Rio de Janeiro seit zwanzig Jahren geißeln, hielt Jobim an seiner musikalischen Hymne auf die malerische Schönheit rund um den Zuckerhut fest. Er war davon überzeugt, daß Rio de Janeiro erst wirklich glücklich ist, „wenn alle Einwohner in Ipanema wohnen“. „Wenn die Armen auf den Hügeln eine Chance bekommen, wird die ganze Stadt singen“, beschließt er seinen Samba „O morro nao tem vez“.

Der Traum vom friedlichen Miteinander zwischen arm und reich, schwarz und weiß, bewegte den aufstrebenden Pianisten, der sich in den 50er Jahren seine Miete in den Nachtklubs an der Copacabana verdiente. Jobims bereits verstorbener Kompositionspartner Vinicius de Morais entwickelte eine wahre Vorliebe für den sanften Angriff auf die brasilianische Klassengesellschaft: „Wieso kann ein bildschönes Mädchen aus gutem Hause sich nicht in einen Bettler verlieben? Es ist doch Frühling!“ rechtfertigte er die Geschichte des von ihm komponierten Musicals „Pobre menina rica“ (= Armes reiches Mädchen).

Die romantischen Sozialutopien unterschieden die neue Bossa-Nova-Generation von den bisherigen Komponisten der brasilianischen Volksmusik. „Im Grunde genommen sind wir alle wohlgenährte Kleinbürger“, stichelte damals der Poet Vinicius de Morais. Der weltgewandte Dichter und Intimfreund Pablo Nerudas hatte recht: Die Bossa-Nova-Musiker wohnten ausnahmslos in der vornehmen Südzone Rios, gehörten überwiegend der Mittelschicht an und verfügten über eine akademische Ausbildung. Der intellektuelle Ausscherer wurde von der brasilianischen Regierung aufgrund seiner nächtlichen Ausschweifungen in der Musikszene Rios mit der Entlassung aus dem diplomatischen Dienst bestraft.

„Die neue Musikergeneration wollte unseren Samba mit neuen Elementen bereichern“, schreibt Musikkritiker Sergio Cabral im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen „Bossa-Nova-Songbook“. Tom Jobim selbst bestand stets darauf, „achtzig Prozent seines Lebens dem schwarzen Samba gewidmet“ zu haben. Die restlichen zwanzig Prozent seiner schöpferischen Energien verwandte er freilich darauf, der brasilianischen Volksmusik ungewöhnliche Harmonien unterzuschieben. Die bereits rhythmisch und melodisch vielfältige „Musica Popular Brasileira“ (MPB) gewann durch die schrägen, alterierenden Harmonien Jobims auf einmal eine expressionistische, gedämpfte Note.

Nach der Auszeichnung seiner Schallplatte durch die „National Academy of Recording Arts and Sciences“ und seinem triumphalen Debüt in der Carnegie Hall 1962 gehörte der „Carioca“ (so nennen sich die Einwohner Rios) Jobim, dem auserlesenen Klub großer zeitgenössischer Komponisten an. Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Thelonius Monk, die Saxophonisten Gerry Mulligan und Stan Getz sowie Henry Marcini und Frank Pourcel schufen eigene Versionen der über vierhundert Jobim-Themen. Noch heute streiten Musikkritiker darum, ob der Bossa Nova den Jazz oder der Jazz den Bossa Nova beeinflußt habe.

„Jobim war das Symbol einer Epoche radikaler Veränderung innerhalb der brasilianischen Musik. Alle neuen Generationen sind bei ihm in die Schule gegangen“, erklärt Paulinho da Viola, herausragender Samba-Komponist aus Rio. Musiker wie Caetano Veloso, Chico Buarque, Djavan und Joao Bosco entwickelten die Leichtigkeit und Ästhetik des Bossa Nova zum „Tropicalismo“ der 70er Jahre weiter. „Als Tom anfing zu komponieren, hat sich alles verändert“, erinnert sich Gitarrist Joao Bosco. „Er brachte eine Art Schönheit mit, die es vorher nicht gab.“

Astrid Prange