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Kommunikabel: „temporary translation(s)“, die Sammlung Schürmann in Hamburgs Deichtorhallen  ■ Von Harald Fricke

Man muß der zeitgenössischen Kunst nicht jeden guten Gedanken auslegen. Manchmal reicht es, wenn man sich einfach nur darüber freut. Sprachlos und aufgeregt stromern in den Hamburger Deichtorhallen die Leute grüppchenweise über mehrere tausend Quadratmeter Ausstellungsfläche. Der Nutzbau unter dem denkmalgeschützten Dach gleicht im klammen Grau seiner Stahlkonstruktion und dem weißen Finish der Wände mehr dem Autosalon aus Tatis „Trafic“ als einem Museum. In jedem Winkel wimmelt es von Besuchern, die zwischen Jason Rhoades' tschechisch geprägter Bastelstube und Peter Zimmermanns Posterwand versunken auf soziologische Details starren – Künstler, Galeristen und andere Leistungsträger der Kulturindustrie in gleichem Maße. Selbst die schleppend vorgebrachte Einführung von Zdenek Felix, dem Direktor des Hauses, hat einen eigenen Sound an diesem Abend; besser als alle Rockkonzerte in dieser Stadt (einige Gäste trifft man spät in der Nacht bei einer Jungle-Party auf der Reeperbahn wieder).

Auch Felix weiß nicht recht, was er erklären soll. Nach „Post-Human“, einer Übersicht zum verschwindenden menschlichen Körper in Skulptur, Installation und dem Techno der neunziger Jahre, und der anschließend still dahinphilosophierenden Konzeptmalerei von „Der zerbrochene Spiegel“ soll die Sammlung Schürmann zeigen, daß „die Grenzen der Medien aufgehoben sind, die Gattungen selbst nicht zur Debatte stehen“. Fotografie, Cartoons und Readymade-Nippes, das alles unterscheidet sich in der „Kontextualität von Sprachen“ nicht mehr so sehr. Statt dessen kommuniziert es miteinander wie von selbst ungemein, als würden sich Disco und Bibliothek im Museum treffen.

Wenn man sie läßt, haben sich beide Lager viel zu sagen. Cady Nolands Vorderwand einer Blockhütte wird von den leicht aus der Bahn gerutschten Trash-Allegorien und Kifferzeichnungen Raymond Pettibons abgefedert; schräg gegenüber hat Mark Dion aus Kinderzimmerspuren und Laborelementen die komplexe Installation „Frankenstein in the Age of Biotechnology“ arrangiert, mit der er den regressiven Charakter der Wissenschaft als Onkel-Doktor- Spiel wenn nicht erklärt, so doch bebildert. Zwischen weiteren Künstler-Kojen hängen Diane Arbus' Sixties-Familienfotos in Sichtweite zu Julia Schers Prints, die sie von Besuchern im Hause Schürmann anhand einer Video-Überwachungsanlage hat machen lassen. Bei Renée Green in der Ecke hält Diedrich Diederichsen einen klugen Fernsehmonolog über cultural studies, den die afroamerikanische Künstlerin mit HipHop- Tapes und Bücherregalen voller Beatnik-Literatur (bis hin zur Neal-Cassady-Biographie) dokumentiert. Auf dem Bildschirm nebenan laufen Stan Douglas' „Monodramas“, bluesartige Musikclips von schwarzen Automechanikern in schwarzen Suburbs.

Das gemeinsame Konzept von solcherlei Pop und Kunst ist ihre sich überkreuzende Lesbarkeit, die Verbindungslinien ergeben sich aus den Anwendungsmöglichkeiten der jeweiligen Zeichen, zusammen wird alles wieder ein neuer Text. Warhol filmt Velvet, Kirk Douglas spielt Vincent van Gogh, Nam June Paik baut aus Fernsehern buddhistische Environments. Ende der sechziger Jahre bereits von Dan Graham aufgespürt und angedacht, haben in den Achtzigern andere amerikanische Künstler wie Mike Kelley oder John Miller (dessen wichtigste Arbeiten, etwa den „Big-Potatoes-Boy“, Schürmann besitzt) an einem Remix der Kulturtheorie gearbeitet, der die strenge Trennung in High- und Low-art relativ überflüssig macht. Adornos Forderung nach ästhetischen Monaden ist kein Vorbild mehr, sondern eher trübe nachklingendes Zitat und Sample. Eine ärmliche Wollsockenpuppe Kelleys kann auf dem Schallplattencover der Gruppe Sonic Youth die gleiche künstlerische Botschaft transportieren wie gerahmt an der Galeriewand. Indem Richard Prince 1983 die splitternackte Brooke Shields aus „Pretty Baby“ abfotografiert, stellt er das Bildnis in eine Reihe mit den kantigen Aktgemälden von Modigliani und führt gleichzeitig den historisch festgeschriebenen Stellenwert erotischer Ikonografie im Grenzbereich von Playboy und Porträtbild ad absurdum.

Das Medium – und eben auch Kunst – ist ein Code aus Informationen, der über gesellschaftliche Annäherung funktioniert. Sie allein überträgt: „Wenn Kunstgeschichte nicht mehr als eine Aufeinanderfolge ästhetischer Positionen, sondern als eine Folge wechselnder Strategien im Verhältnis zur politisierten Haltung des Künstlers beschrieben wird, ändert sich die Wertschätzung des Kunstprodukts. Kritisch beurteilt wird dann nicht die Novität oder Perfektion, sondern inwieweit die gewählte Strategie in bezug auf Ort, Beteiligte, Zugänglichkeit, Präsentation, Argumentation einen Gebrauchswert herstellt. Konsequenz ist die freie Verfüg- und Verwendbarkeit künstlerischer Ideen und Produkte“, so zitiert der in Köln lebende Fareed Armaly, der für Hamburg eine gewaltige Schultafel beschriftet, ausradiert und als Trennwand eingezogen hat, die Düsseldorfer Diskursstrategen von BüroBert im Katalog zur Schürmann-Ausstellung.

Fanzines und Manifeste, Punk als Wille und Vorstellung, doch was hat das alles mit einem Sammler aus Herzogenrath bei Aachen zu tun, der in zwei Einfamilienhäusern Arbeiten von über fünfzig dissident-zeitgenössischen Künstlern angekauft und aufgestapelt hat? Wilhelm Schürmann, Jahrgang 1946, Professor für Fotografie an der Fachhochschule Aachen, hortet die Dinge nicht, sondern er benutzt sie – privatmenschlich subversiv, daheim in Herzogenrath. Seine Sammlung gilt ihm als eine Art temporärer Ideen-Speicher, in dem die Bezüge ständig hin und her springen, kurzfristig Aufladungen erzeugen. Danach werden Sachen wieder umgestellt, Plätze getauscht, manchmal auch Positionen. Anders als im dichtgedachten Regelwerk der Moderne duldet Schürmann nicht Aufklärung noch Belehrung. Der politische Gestus einiger Arbeiten ist ihm sympathisch, doch nicht verbindlich. Cady Nolands Gitterkonstruktion mag sich im öffentlichen Raum zwar an der Zerstörung amerikanischer Mainstream-Kultur abarbeiten, muß aber auch zu Hause passen. Dann wird umgebaut: „Kunstwerke verkörpern nicht endgültige Produkte, sondern prozeßhafte Abläufe, offene Strukturen. Sie sind veränderbar. Die Ausstellung wird zur Momentaufnahme, zur eigenwilligen Übersetzung, ohne Gewähr.“

Die Wohnstube als Intensitäten-Modell: Der kürzlich erstandene Küchenbodenbelag, den Jorge Pardo aus seiner Galerie in Los Angeles herausgebrochen und bei Schürmanns neu verlegt hat, ergänzt jetzt einen „Hinten ist noch ein Loch frei“ betitelten, dysfunktionalen Stahlspind, mit dem Martin Kippenberger bauhäuslerische Design-Utopien und stupendes Arbeitsambiente verzahnt. Vor allem wehren beide Objekte einen bürgernahen Subjekt-Fetischismus ab – der die meisten ihrer Vorgänger im Museum hat enden lassen. Christian Philipp Müller geht mit seinem Gegenmodell so weit, daß er den Betrieb mit dessen eigenen Mitteln bloßstellt und statistisches Material der Kulturhaushalte von Düsseldorf und Köln zu durchsichtigen Plexiglassäulen auftürmt. Verwaltungsballast als Dekor der Kritik.

Daß sich der durchschnittliche deutsche Museumsmensch mit dieser Art von Kunst nicht anfreunden mag, liegt auf der Hand. Als Schürmann seine Sammlung Berlin zur Ausstellung anbot, wurde erstmal getuschelt, getagt und dann dankend abgelehnt. Zdenek Felix von den Deichtorhallen war dagegen beweglicher. Dadurch bekommt man in Hamburg all die Arbeiten zu Gesicht, von denen in Kunstzeitschriften sonst immer nur die Rede ist. Merkwürdig ist bloß, wie selbstgewiß Schürmann vorprescht und für die Übernahme der Ausstellung durch die Hypobank München schon seine Studenten an der site-spezifischen Neukonzeption werkeln läßt, während Künstler und Galeristen ein wenig unsicher hinter dem Sammler als Autor hertapsen. Was soll's: Berlin hat bald die Beamten am Hals, und Hamburg die besseren Ausstellungen.

„temporary translation(s)“. Bis 12.2. in den Deichtorhallen Hamburg.