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HVV: Teurer, schlechter, autonom

■ Geheim-Drucksache zur Zukunft des HVV schmort im Senat / Bau- und Verkehrssenator Eugen Wagner setzt auf Kleinstaaterei Von Florian Marten

Teurer, schlechter und ganz autonom – das „streng vertrauliche“ Senatskonzept „Strukturveränderung im ÖPNV in Hamburg und in der Region“, Drucksache 94/1101, verheißt für die NahverkehrskundIn wenig Gutes: Hamburg will die bevorstehende Regionalisierung und Revolutionierung des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) – er ist ab 1.1.96 allein Sache von Ländern und Gemeinden – im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern nicht für eine verkehrspolitische Offensive, sondern für eine Verschlechterung des Status quo nutzen.

Weniger Geld, höhere Fahrpreise, keine Ausdehnung des heutigen HVV-Konzeptes und Ausdünnung des öffentlichen Verkehrsangebotes sind die Leitlinien des Papiers. Während andere Bundesländer die Gründung eigener Schienenverkehrsgesellschaften, die Gründung neuer regionaler Verbünde, eigene ÖPNV-Gesetze und konkrete Maßnahmenpakete für eine Verkehrswende in Arbeit haben, setzt der Hamburger Senat auf Altbewährtes: Die S-Bahn soll weiter – und viel zu teuer – bei der Bahn AG eingekauft werden, kein ÖPNV-Gesetz soll die Arbeit der Baubehörde stören, die Konstruktion der Hamburger Staatsverkehrsbetriebe (HHA) bleibt unangetastet. Allein der HVV wird, weil gesetzlich vorgeschrieben, leicht verändert und in eine GmbH umgestaltet, an der sich Schleswig-Holstein und Niedersachsen beteiligen sollen.

Ungewöhnliche Gestaltungslust entwickelt Eugen Wagner allein in Sachen Macht und Geld: So sollen die ab 1996 durch die ÖPNV-Revolution erheblich steigenden Kompetenzen und Geldmittel allein bei der Baubehörde angesiedelt werden. Und: Damit das Umland nicht auf dumme Gedanken kommt, will Hamburg für den neuen HVV strikt das „Territorialprinzip“ angewendet sehen.

Im Klartext heißt das: Jedes Land und jede Gemeinde ist für den Verkehr auf seinem bzw. ihrem Gebiet zuständig. Der HVV als Koordinierungsinstanz darf zwar Vorschläge für den gemeinsamen Verbundraum machen – im Streitfall kann sich aber jeder hinter seine Stadtmauern zurückziehen und dort allein entscheiden.

Das Papier der Baubehörde ist von der Angst geleitet, eine länderübergreifende Institution könne Einfluß auf die Hamburger Verkehrspolitik gewinnen. Umgekehrt erhofft sich Hamburg von diesem Prinzip der Kleinstaaterei auch Cash. So heißt es in der Senatsdrucksache jubilierend, daß „z.B. ein Nahverkehrszug von Hamburg nach Lübeck nach territorial geleisteten Zugkilometern abgerechnet wird.“ Kurz: Lübeck und Schleswig-Holstein sollen in Zukunft den Löwenanteil des Pendler- und Ausflugsverkehrs bezahlen.

Kritiker aus den Reihen der SPD und des Senats befürchten, daß eine derart gestrickte regionale Zusammenarbeit zu einer Zerstörung des gemeinsamen Verbundverkehrs führen könnten. Im Senat ist man sich bis heute unschlüssig, ob das handwerklich sehr dürftige und unpräzise Konzept schon ausreicht, um in echte Verhandlungen mit den benachbarten Landkreisen und Bundesländern zu treten.

Derweil basteln die Verkehrsplaner in der Baubehörde längst an neuen Konzepten. Im kommenden Frühjahr will Eugen Wagner ein ganz neues Verkehrsentwicklungskonzept vorstellen. In mühevoller Kleinarbeit werden da gegenwärtig ein Öko-Szenario und ein Wachstums-Szenario miteinander verschmolzen. Das Ziel: Mehr ÖPNV in einem größeren Verkehrsverbundraum. Selbst Mitarbeiter der Baubehörde räumen ein, daß sich diese Pläne mit der Senatsdrucksache 94/1101 „beißen“.

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