■ Normalzeit
: Party-Geflüster

Erstens: Seit der Hauptstadt- Werdung gehen hier irgendwie alle Hautevolee-Events daneben. Zweitens: Klatsch ist die letzte materialistische Waffe gegen die Meinung. Dazu vier Beispiele: In der Buchhandlung Herder am Breitscheidplatz signierte neulich Christo sein neuestes Werk. Eine große Fangemeinde stand Schlange für den berühmten Verhüllungskünstler, der dann über Lautsprecher als „Verpackungskünstler“ angekündigt wurde. Das hörte Christos Gattin und war so erbost über diese „falsche Bezeichnung“, daß sie ihrem Einwickelgatten jedes weitere Signieren verbot und mit ihm nach draußen rauschte. Zum Entsetzen einer Buchhändlerin, die sich tausendmal bei Christo entschuldigte.

Um diese Überspanntheit nachvollziehen zu können, muß man wissen, daß der Reichstag- Verhüller nach dem Krieg in Sofia Kunst studierte. Zu der Zeit war der vor dem Krieg von den Nazis als Reichstags-Brandstifter angeklagte Georgi Dimitroff Ministerpräsident Bulgariens. In den Semesterferien arbeitete Christo an einer neuen Eisenbahnlinie, wo er die längs der Strecke stehenden Scheunen und Hütten so zu verkleiden hatte, daß sie im Vorbeifahren für Neubauten gehalten wurden. Dimitroff hatte sich 1934 im sogenannten Reichstagsbrandprozeß selbst verteidigt und das so intelligent, daß die Nationalsozialisten ihn in ihren Zeitungen als den „schlauen Bulgaren“ bezeichneten. Der Reichstag wurde auch in Bulgarien so berühmt, daß die Schüler noch heute alles über ihn lernen müssen. Man kann sich vorstellen, daß Christo damit sein Verpackungs-Lebenswerk krönt.

In der Mommsenstraße fand – auch neulich – eine Party zu Ehren von Joachim Sartorius statt, in der Wohnung eines Hamburger Dichter-Ehepaars. Irene Dische, Karin Graf, aber auch die Salonlöwen Stölzl und Sombart etc. — alle waren da. Zu ihrer Bedienung hatten die zwei Dichter eine schwarze Servierhilfe angestellt. Schon auf Wewerkas Party in seinem neuen Pankower Haus mit Rosengarten und dazugehörigem Gärtner waren die Vietcongs als Bedienungspersonal voll daneben, als Gäste wären sie dagegen hochwillkommen gewesen.

Anders verkorkst die Jakob- van-Hoddis-Gedächtnisparty, die in den Hackeschen Höfen stattfand, wo jetzt auch eine Gedenktafel an diesen Abend erinnert, die eigentlich jedoch an eine von Jakob van Hoddis dort einst begründete jüdische Expressionisten-Dichtergruppe gemahnen soll. Zu ihren Ehren hatte ein Promotion-Team des Investors mit Sitz in den Hackeschen Höfen zu einer Soiree in Anwesenheit des Kultursenators geladen. Auch von den neuen Besitzern der Höfe, einer Roland-Ernst- Tochtergesellschaft, war jemand anwesend. Der „Stalin von Bad Schwartau“, Dr. Seltsam, sollte ihnen laut und deutlich „Hoddis heute“ nahebringen, das tat er dann auch. Woraufhin die alte Chefin des Van-Hoddis-Verlags nicht mehr an sich halten konnte und noch lauter von Van-Hoddis- Verhohnepipelung sprach. Ein Jung-Germanist vom Scheinschlag pflichtete ihr bei. Der Chef des Promotion-Teams, Reiner Blankenburg, vormals Kulturstadtrat Mitte, dann ABM-Leiter der „Gesellschaft Hacke Höfe e.V.“, die vom Hauskäufer mitübernommen wurde, um fortan für die Attraktivität der Immobilie zu werben und dabei auf van Hoddis gestoßen war, verbot leise, aber entschieden seinem Vortragskünstler jedes weitere Dichten. Statt dessen zettelte er mit den anwesenden Journalisten eine „Metropolen-Diskussion“ an.

Dies bewirkte augenblicklich den Zerfall der Abend-Gesellschaft, beschleunigt noch durch den plötzlichen Abgang des Kultursenators Roloff-Momin, der meinte, er hätte sich terminmäßig sowieso nur auf einen schnellen Empfang eingestellt gehabt. Ihm schloß sich eine enttäuschte Jungjournalistin an, die davon ausgegangen war, der erneuten Gründung eines „Zirkels junger Expressionisten“ beizuwohnen. Irene Runge vom jüdischen Kulturverein erzählte, daß sich bei ihnen auch laufend junge Frauen einfänden, die unbedingt Jüdinnen werden wollen: „Schrecklich. Wir schicken sie alle wieder nach Hause.“ Helmut Höge

Wird fortgesetzt