Nazi-Altlasten in Wilmersdorf

Wilmersdorfer Straßenkreuzung soll „Julius-Morgenroth-Platz“ werden / Man nehme eine Straßenkreuzung, erkläre sie zum Platz und gebe ihm einen Namen  ■ Von Jürgen Karwelat

Im Fortsetzungsroman um Wilmersdorfer Straßennamen hat am 8.12.1994 die Bezirksverordnetenversammlung ein weiteres Kapitel geschrieben. Mit den Stimmen der CDU, SPD und FDP soll es bald einen „Karl-Friedenthal-Park“ und einen „Julius-Morgenroth-Platz“ geben.

Am 26. September 1938 titelte die Berliner Tageszeitung Der Westen: „Jüdische Straßennamen in Westberlin beseitigt“. Zwölf Umbenennungen in sieben Bezirken wurden bekanntgegeben. Für Wilmersdorf wurde die Umbenennung der Morgenrothstraße in Dünkelbergsteig vorgenommen. Heute, 56 Jahre nach der Auslöschung des Andenkens an den jüdischen Charité-Arzt Julius Morgenroth, hat die Straße immer noch den von den Nazis gesetzten Namen. Bis zum heutigen Tage hat auch die Schellendorffstraße, die die Nazis am 16.5.1938 einem preußischen Kriegsminister widmeten, nicht ihre ursprüngliche Bezeichnung zurückerhalten. Sie hieß Friedenthalstraße, um an den Mitbegründer der freikonservativen Partei, Karl Rudolf Friedenthal, einen Juden, zu erinnern.

Um möglichem Bürgerprotest im Dünkelbergsteig und der Schellendorffstraße aus dem Wege zu gehen, haben nun CDU, SPD und FDP eine klägliche Ersatzlösung beschlossen: Eine bisher namenlose Anhäufung von Bäumen und Sträuchern neben dem Halensee, von den antragstellenden Parteien jetzt „Halenseepark“ genannt, soll in „Karl-Friedenthal-Park“ „um“benannt werden. Die namenlose Straßeneinmündung Nachrodstraße/Bundesallee wird flugs zu einem Platz erklärt, damit dieser jetzt Julius-Morgenroth-Platz genannt werden kann.

Der Beschluß wurde am Donnerstag abend gegen die Stimmen der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und der „Republikaner“ gefaßt, die die Ersatzlösung aus völlig unterschiedlichen Gründen ablehnten. Die Grünen beharrten darauf, daß nationalsozialistisches Unrecht dort beseitigt werden müsse, wo es auch angerichtet worden sei. Deshalb komme nur die Rückbenennung in Frage. Die „Republikaner“ machten in ihrem Redebeitrag einen Ausflug in die tiefdeutsche Geschichte und meinten, daß die für Morgenroth ausgeguckte Straßenkreuzung mal „Spichernplatz“ geheißen habe, nach einem Ort in Lothringen, wo die deutschen Truppen im deutsch- französischen Krieg eine siegreiche Schlacht geschlagen hätten. Wenn schon Umbenennung, wäre dies doch viel passender.

Ob es tatsächlich einen „Morgenrothplatz“ geben wird, ist mit der Entscheidung noch nicht endgültig ausgemacht. Geht es nach den Plänen von CDU, SPD und FDP, sollen einige Häuser an der Bundesallee dem Platz zugeschlagen werden. Die Grünen meinten, dabei handele es sich in der rechtlichen Qualität um eine Umbenennung, die nach den Vorschriften des Berliner Straßengesetzes unzulässig sei. Begründung: Die Bundesallee sei ein politisch unverfänglicher Name, der im Katalog der zulässigen Umbenennung nicht aufgeführt werde. Im übrigen wird z.B. die Betriebskrankenkasse Berlin, die in der Bundesallee 13–14 ihren Sitz hat, ein Klagerecht gegen den neuen Namen haben. Ihr Postaufkommen wird um ein Vielfaches höher sein als das der Anwohner des Dünkelbergsteigs, die die BVV-Mehrheit mit der Ersatzlösung schonen wollten.

Seit zehn Jahren wird in Wilmersdorf über die zwölf Umbenennungen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 diskutiert. Zehn Jahre Diskussion um zwölf Straßen, die die Nazis umbenannt haben, um das Andenken an jüdische Persönlichkeiten aus dem Stadtbild zu tilgen, haben vorläufig damit geendet, daß keine einzige Straße ihren alten Namen zurückerhält.

Bleibt zu hoffen, daß wenigstens die von der BVV Wilmersdorf im März 1991 beschlossene Umbenennung des Seebergsteigs in Walter-Benjamin-Straße bald umgesetzt wird. Ende November 1994 ist die Klage eines Anwohners gegen die Umbenennung als unbegründet zurückgewiesen worden.