Brasiliens Korruptionsgeister feiern Auferstehung

■ Zwei Jahre nach seinem „Impeachment“ wird Ex-Präsident Collor freigesprochen

Rio de Janeiro (taz) – Die Gespensterjagd in Brasilien ist vorbei. Die großzügigen Geister, die einst Summen in Millionenhöhe heimlich auf Bankkonten im Dunstkreis der Macht von Brasiliens Ex-Präsident Fernando Collor de Mello überwiesen, scheint es in Wirklichkeit nie gegeben zu haben. Die Richter des Obersten Verfassungsgerichtes (STF) jedensfalls erkennen ihre Existenz nicht an. Sie sprachen Collor am Montag abend mangels Beweisen vom Vorwurf der „passiven Korruption“ frei.

Das Urteil der acht Weisen vom „Supremo Tribunal Federal“ rief in der brasilianischen Öffentlichkeit Unverständnis und Empörung hervor. Der 42jährige Collor war im Dezember 1992 als erster Präsident Lateinamerikas wegen Korruptionsvorwürfen zwangsweise seines Amtes enthoben worden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß wies dem damaligen Präsidenten nach, an öffentlichen Aufträgen interessierte Unternehmer erpreßt zu haben. Die saftigen Bestechungsgebühren flossen über fiktive Kontoinhaber direkt in Collors persönliche Tasche und ermöglichten ihm gespenstische finanzielle Vorhaben, wie die Anlage eines prachtvollen tropischen Gartens für umgerechnet 50.000 Mark in seiner Residenz in der Hauptstadt Brasilia.

Die Aufdeckung des Korruptionsskandals leitete eine neue Ära in Brasilien ein. Unter dem Druck der Öffentlichkeit entzog der Kongreß damals Collor für acht Jahre seine politischen Rechte. Die nationale Bewegung für Ethik feierte den Sturz Collors als moralischen Neubeginn und Triumph der Demokratie. Collors Absetzung führte dazu, daß bei den Präsidentschaftswahlen dieses Jahres nur Kandidaten mit „sauberer Vergangenheit“ eine Chance hatten.

„Was sind diese Richter für Typen? Sie werden von den Machthabern auf Lebenszeit ernannt. Das muß sich ändern! Auch Richter müssen wähl- und abwählbar sein“, fordert der Redakteur der Rio-Zeitung Jornal do Brasil. Lindbergh Farias, ehemaliger Anführer der Schüler und Studenten, die mit ihren Demonstrationen wesentlich zum „Impeachment“ Collors beitrugen, will sich nun als Abgeordneter im brasilianischen Parlament für eine Justizreform stark machen. Osiris Lopes, bis Juli Brasiliens oberster Steuereintreiber, kommentierte: „Es ist paradox, vom Finanzamt beschlagnahmte Disketten nicht als Beweismaterial anzuerkennen. So wird es immer schwieriger, Korrupte festzunehmen.“

Im Gegensatz zu seinen Landsleuten ist das Vertrauen von Ex- Präsident Collor in die brasilianische Justiz nach dem Freispruch wiederhergestellt. Wenige Tage vor der Urteilsverkündung gewährte er neugierigen Fotographen Einlaß in sein „Kabinett“ in Brasilia und gestand der Presse, „sich eingeschlossen und frustriert zu fühlen“. Das Geld auf den Gespensterkonten, so beteuerte er nochmals, sei nur der Überschuß üppiger Spenden für seine Wahlkampagne 1989 gewesen. Collors Lebensstil hat sich seit seiner Amtsenthebung verändert. Sein Einkommen beschränkt sich heute auf fünf Prozent des Umsatzes des Medienkonzerns seiner Familie sowie auf Mieteinnahmen einer Wohnung in Rio de Janeiro.

Anhänger der Nationalen Bewegung für Ethik befürchten, daß nach dem Freispruch Collors das Gespenst der Korruption in Brasilien wiederauflebt. Die Angst ist nicht unbegründet: Der brasilianische Senat verabschiedete letzte Woche ein Gesetzesprojekt, das den Abgeordneten nachträglich die Nutzung der internen Graphik zur Herstellung von persönlichem Werbematerial erlaubt. Das Amnestieprojekt zugunsten des Senatsvorsitzenden Humberto Lucena, der für umgerechnet 60.000 Mark während des Wahlkampfes im Oktober Kalender drucken ließ und deswegen sein Mandat entzogen bekam, soll den freizügigen Umgang mit Steuergeldern nachträglich legalisieren. Die Chancen, daß das Amnestieprojekt noch in diesem Jahr vom Parlament verabschiedet wird und damit in Kraft tritt, stehen nicht schlecht. Astrid Prange