Fast eineinhalb Jahre nach Bad Kleinen sickern erstmals Details der Aussagen des V-Manns Klaus Steinmetz nach außen. Die Behörden nutzen sie selektiv – gegen Birgit Hogefeld und die linksradikale Szene. Von Wolfgang Gast und Gerd Rosenkranz

Steinmetz' Erzählungen

Vor banaler Alltagskriminalität ist nicht mal die RAF sicher: „In Paris wurden Birgit und ich überfallen. Das war abends in einer dubiosen Gegend, wo, weiß ich nicht. Das waren Jugendliche, die auf Geld aus waren. Die sprangen aus einer Ecke hervor und hatten Messer gezückt. Birgit zog die Pistole und rief etwas auf französisch. Die Jugendlichen sind dann abgehauen.“ Die Überfallenen waren nur zu Besuch. In der Faschingszeit 1992 wohnten sie zwei Tage lang in einem kleinen Hotel am Sackbahnhof Gare de l'Est.

Ihre Namen sind inzwischen berühmt. Hinter „Birgit“ verbirgt sich Birgit Hogefeld, damals Mitglied der Rote Armee Fraktion, heute Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Der Begleiter und Protokollant des Vorfalls heißt Klaus Steinmetz, der V-Mann des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes. Am 27. Juni 1993 führte er die Staatsschutz-Armada nach Bad Kleinen zum Treff mit den Aktiven der RAF und löste eine mittlere Staatskrise aus. Die Bilanz am Ende des katastrophalen Polizeieinsatzes: Hogefeld verhaftet, der GSG-9-Mann Michael Newrzella tot, der V-Mann aufgeflogen. Wie das RAF-Mitglied Wolfgang Grams beim Festnahmeversuch zu Tode kam, ist weiter ungeklärt. „Selbstmord“, behauptet die Bundesregierung, doch der böse Verdacht, daß es sich um eine regelrechte „Hinrichtung“ durch die GSG-9-Beamten gehandelt hat, ist keineswegs ausgeräumt.

Die kleine Pariser Anekdote aus dem aufregenden Leben in der Illegalität gab Steinmetz in einer Beschuldigtenvernehmung am 24. Juli 1993, vier Wochen nach dem Bad-Kleinen-Desaster, bei den Karlsruher Bundesanwälten zum besten. Der kuriose Vorfall wird im Prozeß gegen Birgit Hogefeld kaum eine Rolle spielen. Möglicherweise aber andere Details, die der Top-Informant dem Staatsschutz in einer Serie von Vernehmungen ablieferte. Nach einer „Inkubationszeit“ von rund einem Jahr begannen die Fahndungsbehörden, Honig zu saugen aus den als „geheime Verschlußsache“ deklarierten Einlassungen ihres Vertrauensmannes und verschiedenen Unterlagen, die sie nach der Festnahme in Birgit Hogefelds Gepäck entdeckten.

„Verunsicherung der Szene“ heißt seither ganz offensichtlich das Programm, mit dem die Fahnder auch wieder näher herankommen wollen an die erneut spurlos verschwundenen Illegalen. Konkret: Mal hier eine „autonome“ WG durchsucht oder eine Szenezeugin vorgeladen, mal da eine kurzfristige Verhaftung oder ein paar Monate Beugehaft wegen Aussageverweigerung. So geht das, ohne große Öffentlichkeit, schon seit Monaten. Die juristische Basis für die Staatsschutzaktionen liefern fast immer die Aussagen des Klaus Steinmetz, der vor seiner Enttarnung in der Wiesbadener radikalen Szene agierte. Der Spitzel berichtete detailliert über seine Szenekontakte, fertigte auch Kurzdossiers über angeblich wichtige Personen aus dem Umfeld der RAF-Terroristen.

Gegen einige dieser „Nahtstellenpersonen“ (Fahnder-Jargon) leitete der Generalbundesanwalt Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung und Mitgliedschaft in der RAF ein. Seinen früheren Wiesbadener Wohnungskollegen Stefan Frey beschuldigte Steinmetz etwa, den Kontakt zur Kommandoebene der RAF hergestellt zu haben (siehe Interview). Auch gegen die Ehefrau des in Schwalmstadt inhaftierten RAF-Gefangenen Helmut Pohl, Gisela („Gila“) Pohl, ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der RAF-Unterstützung. Zwei Frauen aus dem RAF-Umfeld verschwanden drei Monate in Beugehaft, nachdem sie sich geweigert hatten, als Zeuginnen zu Steinmetz' Erzählungen Stellung zu nehmen.

Doch auch für die Ermittlungsbehörden selbst birgt das von ihrem V-Mann offenbarte Detailwissen einige Sprengkraft. Der mühsam konstruierte Vorwurf der Mittäterschaft Hogefelds bei der Erschießung des GSG-9-Polizisten Michael Newrzella in Bad Kleinen gerät nach Steinmetz' Äußerungen ins Wanken. Glaubt man Steinmetz, so dachte Hogefeld sogar über Ausstieg aus der RAF nach. „Ihr bereitete es Schwierigkeiten, auf familiäre Beziehungen zu verzichten“, sagt Steinmetz in einer Vernehmung am 4. August, „das Leben im Untergrund bezeichnete sie als hart und stressig. Aus ihren Äußerungen entnahm ich so etwas wie Rückzugsgedanken. Ich glaube auch herausgehört zu haben, daß in bezug auf die Ziele, die Strukturen und die Durchsetzungsmöglichkeiten der RAF keine klaren Ansätze vorhanden waren.“

Auch über die Sprengung des Gefängnisneubaus Weiterstadt Ende März 1993 hat sich Hogefeld gegenüber Steinmetz geäußert. Sie habe sie als „Gratwanderung in jeder Beziehung“ empfunden. Das Kommando Katharina Hammerschmidt habe die eigene Gefährdung und die Unbeteiligter geringhalten und die Folgen für die RAF- Gefangenen bedenken müssen. Noch dazu sei sich die Gruppe zu jener Zeit „unklar über das eigene Fortbestehen gewesen“. Vom Ausmaß der Zerstörung des Gefängnisneubaus Weiterstadt (Schaden: 130 Millionen Mark) sei das Kommando selbst am meisten überrascht gewesen.

Als die RAF im April 1992 überraschend ankündigte, sie werde künftig auf „Angriffe gegen führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat“ verzichten, stand Birgit Hogefeld laut Steinmetz unter erheblichem Druck der RAF-Gefangenen. Die Gefangenen hatten eine entsprechende Erklärung von der Untergrundgruppe offenbar schon länger verlangt.

Die Bundesanwaltschaft kannte Steinmetz' entlastende Aussagen, als sie die Klageschrift verfaßte. Berücksichtigen wollte sie sie nicht – obwohl es ihrem gesetzlichen Auftrag entspricht.