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"Wir sind keine Versuchskaninchen"

■ Freya Klier und Wanda Poltawska lasen aus ihren Büchern über medizinische Versuche an Frauen in der NS-Zeit / Die peinliche Diskussion im Anschluß blieb in der Selbstbeweihräucherung des Publikums...

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand hatte in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung am Dienstag abend zur Premiere von Freya Kliers neuem Buch eingeladen: „Die Kaninchen von Ravensbrück. Medizinische Versuche an Frauen in der NS-Zeit.“

Die Autorin beließ es nicht bei bloßen Aufzählungen, sondern baute packende Psychogramme der Täter mit ein. Da ist zum Beispiel Himmlers Leibarzt Gebhardt, ein Schüler des Chirurgen Sauerbruch, der sich bereit erklärt, im KZ Ravensbrück medizinische Versuche an polnischen Widerstandskämpferinnen zu unternehmen. Der Mann ist kein Sadist, nicht einmal ein überzeugter Nazi. Doch Karrieresucht, vorauseilender Gehorsam und ein verbogenes Berufsethos lassen ihn schließlich Operationen ausführen, während denen man Frauen Bakterienstämme in die Unterschenkel setzt. Die Sulfonamid- und Knochenexperimente dienen dazu, herauszufinden, wie man bestimmte Verwundungen an der Kriegsfront am besten kurieren kann. Gebhardt, der deutsche Arzt, schien ein notorisch gutes Gewissen zu haben: Zwar würden die Frauen gequält, einige würden auch sterben, verstümmelt sein fürs ganze Leben, aber immerhin gebe es einen „höheren Zweck“. Und, so fragte sich Gebhardt, sei er nicht hier, „um Schlimmeres zu verhüten“?

Der Vortrag wurde ergänzt durch eine Lesung aus dem Ravensbrück-Buch einer Polin, die die Experimente damals als Opfer erlebt hatte. Auch sie schilderte die Schmerzen und Todeskämpfe der Frauen inmitten einer Atmosphäre, in der sich alle deutschen Sekundärtugenden ausleben konnten. Bevor die Frauen medizinisch gefoltert wurden, gab's ein warmes Bad, saubere, weiß bezogene Betten und ab und zu von den Ärzten auch eine schmerzstillende Spritze – von den gleichen Leuten verabreicht, die für das Leiden verantwortlich waren.

In der anschließenden Diskussion berichtet Wanda Poltawska, die Autorin dieses Buches, wie sie nach dem Krieg als Psychiater zu arbeiten begann, „um zu verstehen, weshalb Menschen in der Lage sind, so grausam zu sein und ohne Skrupel ihren Beruf zu verraten.“

„Wir sind keine Versuchskaninchen, wir sind doch Menschen!“ hatte sie damals kurz vor der grauenvollen Operation gerufen. Ob sie ihre Peiniger damit gerührt hat? Wohl kaum. Und es überrascht, wie sich hierzulande die „Dominanz des widerspruchsfreien Fühlens“ (Cora Stephan) über die Jahrzehnte hinweg gehalten hat – freilich in einer zivilen Variante, ohne direkte Barbarei. So wie man gestern mordete, so arbeitet man heute auf. Es ist schon ziemlich peinlich, wenn eine Diskutantin ihren eigenen Redebeitrag mit „Wir wollen jetzt einmal folgendes von Ihnen wissen ...“ beginnt oder ein anderer nach lautstarker Aufzählung seiner Aufarbeitungs-Meriten wissen will, wie das „Entschädigungssystem in Polen funktioniert“. Stelle man sich das einmal vor: Da sitzt eine alte Frau auf dem Podium, die eine Lebensgeschichte zu erzählen hat, die dazu noch deutsch spricht, und vor ihr produzieren sich die Bewältigungs-Feldwebel in Selbstdarstellung. Natürlich mußte dann auch noch die Geschichte mit der Entschädigungszahlung an die Ravensbrücker KZ-Aufseherin her, und der Saal tobte. Freya Klier und Hans Schwenke (MdA) sprachen von einem Skandal und verlangten personelle Konsequenzen der Verantwortlichen, aber scheinbar war das immer noch nicht genug. Die guten Herrenmenschen sonnten sich in ihrer Empörung, und die alte Frau da vorn saß ganz still da. Freya Klier regte die Leute an, doch bei dieser Gelegenheit hier die Überlebende zu befragen, ihr zuzuhören. Aber da war die Veranstaltung schon zu Ende. Marko Martin

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